Friedrich Christoph von Saldern - ein märkischer Edelmann.

Der Aufsatz erschien bereits in der Zeitschrift für Heereskunde, 1994, S. 137 ff.

Im Jahre 1793 erschien in der Karl Matzdorff'schen Buchhandlung in Berlin ein schmaler Band, betitelt mit: »Characterzüge des Preußischen General - Lieutenant von Sattlern mit practischen Bemerkungen über seine militairische Thaten und sein Privatleben«. Der Verfasser der Biographie war der ehemalige reformierte Stabsfeldprediger, nachherige Zivilpfarrer, Konsistorialrat und Inspektor in Magdeburg Carl Daniel Küster. Küster war Augenzeuge und Kommentator der ersten drei Feldzüge in dem 7-jährigen existenziellen Ringen Preußens um den Besitz Schlesiens, - ein Theologe als Kriegsberichterstatter. Als Zivilpfarrer eine reiche, publizi­stische Tätigkeit entfaltend, trat er im Laufe der Zeit mit 25 historischen, pädagogischen und theologischen Schriften an die Öffentlichkeit. Neben dem »Officier - Lesebuch« in sechs Bänden 1), einem bemerkenswerten Augenzeugenbericht über den nächtlichen Überfall von Hochkirch 2) hat uns Küster vor allem die genannten »Characterzüge ...« hinterlassen.

Im Mittelpunkt dieser Lebensbeschreibung steht mit Friedrich Christoph von Saldern eine interessante militärische Persönlichkeit der spätfriderizianischen Epoche. Salderns Lebensweg und die geistigen Grundlagen seines Handelns werfen ein bezeichnendes Schlaglicht auf die im damaligen Offizierkorps gültigen Werte.

1) Officier-Lesebuch historisch-militärischen Inhalts mit unter­mischten interessanten Anekdoten, Berlin 1793-97.

2) Bruchstück aus dem Champagne-Leben eines preussischen Feld - Predigers in den zehn Wochen vor der Schlacht bey Hochkirch den 14ten Oktober 1758 bis Weynachten desselben Jahres. Berlin 1790.

Saldern wurde am 2.VI.1719 in Carmzow im Kreis Prenzlau geboren..Die Eltern waren der preussische Kapitän und Kompaniechef im Infanterieregiment Schlaberndorf (No. 25, Anklam, Demmin, Strasburg i.U.) Otto Ludolph von Saldern (1686-1753) und Lucretia Tugendreich von Holzendortf (1700-1728). Väterlichseits entstammte die Familie dem Hildesheimer und Braunschweiger Land (Niedersachsen), fasste aber bereits im 16. Jahrhundert in der Mark Brandenburg Fuß.

Friedrich Christoph, seit 1733 (?) 3) im Infanterieregiment Anhalt-Zerbst (No. 8, Stettin) als Junker enrolliert, erhielt am 7.VIII.1735 das Fähnrichspatent und damit Eingang in das altpreussische Offizierkorps. Nachdem er bereits bei der Revue der pommerschen Regimenter im Jahre 1735 positiv auffiel, wurde der über 6 Fuß große junge und vielversprechende Offizier von Friedrich Wilhelm I. (1688-1740) am 12.1.1739 in das Königsregiment (No. 6, Potsdam) als Secondelieutenant (Patent vom 23.X.1735) versetzt 4). Nach dem Regierungsantritt Friedrichs II. (31. V.1740) und der Neuformierung der Gardeeinheiten wechselte Saldern als Premierlieutenant zum II. Bataillon des Regiments Garde (No. 15 II/III, Potsdam) über. Nach dem 1. Schlesischen Krieg (1740-42) avancierte er am 18.VIII.1743 zum Stabskapitän und wurde im Jahre 1744, kurz vor Ausbruch des Zweiten Schlesischen Krieges (1744-45) Kapitän und Kompaniechef. In der Folge der Schlacht von Hohenfriedberg (4.VI.1745) erhielt Saldern den Orden Pour le Merite 5). Als Major (seit dem 24.VIII.1749) und Bataillonskommandeur im Regiment Garde marschierte er in den Siebenjährigen Krieg (1756-63), wo er sich in den Schlachten von Hochkirch (14.X.1758), Liegnitz (15. VIII.1760) und Torgau (3.XI.1760) besondere Verdienste erwarb. Seine organisatorischen Fähigkeiten bewies er bei der Reorganisation des Armeefuhrwesens 1760. Seit dem 1.VI.1757 Obristlieutenant und Kommandeur des Regiments Garde wurde er am 6.III.1760 als Generalmajor (Patent vom 17.IX.1758) Chef des Garde-Grenadier­-Bataillons (No. 6, Potsdam).

3) Nach anderen Angaben soll Saldern erst 1735 und zwar sogleich als Fähnrich in das Infanterieregiment No. 8 eingetreten sein, vergl.: König, Biographisches Lexikon ..., Bd. III., S. 342 und Jähns, Geschichte der Kriegswissenschaften ..., Bd. III., S. 2529.

4) Das überlieferte »Verzeichnis Wie die Herrn Officiers seit Stiftung bey dem Regiment bis zum Jahre 1783 abgegangen« des Infanterieregimentes No. 8 datiert den Abgang Salderns auf Dezember 1738 und bemerkt ergänzend: »unters Königs­ Regiment wegen seiner Größe gekommen, ward nachher Gen.-Lt. und Gouverneur in Magdeburg«. Die Abgangsliste nennt übrigens auch unter der lfden. Nr. 313 dessen Bruder Kapitän Hennig Siegfried von Saldern, dieser erhielt 1762 die Dimission.

5) Nach Küster, Characterzüge ..., a.a.O., S. 174, und in der Folge nach Lippe (Ernst Graf zur Lippe, Friedrich Christoph von Saldern in: Derselbe, Militaria aus König Friedrichs des Großen Zeit, 1866, S. 90) hat Saldern den Orden Pour Je Merite für Verdienste in der Schlacht von Leuthen (5.VII.1757) bekommen, was Priesdorff in seiner Biographie über Saldern richtig gestellt hat (Kurt v. Priesdorff, Saldern, Hamburg 1943, S. 20). Priesdorff stützt sich hier offensichtlich auf die Angaben bei: Lehmann, Gustav, Die Ritter des Ordens pour le merite, I. Bd. 1740-1811, Berlin 1913, S. 29 (lfde. Nr. 211).

Nach dem Friedensschluß von Hubertusburg (15.Il.1763) folgte Sattlern unter gleichzeitiger Ernennung zum Generallieutenant am 12.XII.1766 dem freiwillig ausscheidenden General-Feldmarschall_Herzog Ferdinand von Braunschweig (1721-1792) als Generalinspekteur der Magdeburgischen Infanterie-Inspektion nach, übernahm dessen nunmehr va­ kantes Infanterieregiment (No. 5, Magdeburg), wurde Gouverneur von Magdeburg und Ritter des Schwarzen Adlerordens. Unter seiner Ägide wurde die Magdeburgische Inspektion über die Grenzen Preußens hinaus zum Inbegriff altpreussischer Exerzierfertigkeit, galt als vollendet in Sachen Taktik, und der Perfektionist Saldern avancierte zum »Exerziermeister des Königs« (Priesdorfl). Vier Abschiedsgesuche aufgrund seiner desolaten körperlichen Verfassung wurden von König Friedrich dem Großen mit dem Hinweis auf seine Unentbehrlichkeit für die Armee und damit für den Staat abschlägig beschieden; so erfüllte Saldern bis zur Neige die Pflichten seiner Position und verzehrte sich wie der König selbst im langjährigen Dienst. Mit seinem Tod am 14. III.1785 in Magdeburg verlor Friedrich der Große einen der letzten militärischen Vertrauten.

Saldern war nicht nur ein exellenter Praktiker, sondern auch Lehrmeister und Theoretiker von Format. Dies beweisen seine militärtheoretischen Schriften. Die 1781 in Frankfurt in erster und 1786 in Dresden in zweiter Auflage erschienenen »Taktischen Grundsätze ...« 6) zeigen ihn als einen bedeutenden Vertreter der Evolutionstaktik, als vollkommenen Kenner der friderizianischen Kampf- und Truppenführung und als Bewahrer des Erbes König Friedrich Wilhelms I. und des Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau (1676-1747). Sattlern war kein Neuerer, er blieb im konventionellen militärischen Denken seiner Zeit gefangen. Die Umwälzungen auf taktischem Gebiet waren in Preußen einer späteren Generation unter dem Eindruck der Katastrophe von Jena und Auerstedt (14.X.1806) vorbehalten. Im Rückblick auf den Verfall und Niedergang der altpreußischen Armee wurde Sattlern als einem Hauptvertreter der Evolutionskunst und »Revuetaktik« ein Mitverschulden an Erstarrung und Stagnation zugewiesen, ein Urteil, welches vornehmlich auf die Schriften von Georg Heinrich von Berenhorst (1733-1814) zurückgeht und angesichts des Umstandes, dass Saldern bereits 20 Jahre vor der Konfrontation des alternden altpreußischen Staates mit dem jungen französischen Kaiserreich verstarb, zurückzuweisen ist.

6) Taktische Grundsätze und Anweisung zu militärischen Evolu­ tionen ..., Frankfurt 1781, neue Auflage Dresden 1786. Zum Themenkomplex »Saldern als Militärschriftsteller« siehe vor allem: Jähns, Max, Geschichte der Kriegswissenschaften vornehmlich in Deutschland, München und Leipzig 1891, Bd. III., S. 2528 ff Die Saldernsche Taktik würdigt insbesondere: Malachowski, D. v., Scharfe Taktik und Revuetaktik im 18.und 19. Jahrhundert, Berlin 1892, S. 32 ff.,- bekannt ist die mahnende Äußerung Friedrichs des Großen anläßlich einer Magdeburger Revue: »Saldern hör er auf. Das ist alles und übertrifft alles, was man in der Taktik machen kann«.

Neben seinen Eigenschaften als Truppenführer, Ausbilder und Taktiker, rühmt die zeitgenössische Literatur vor allem die Qualitäten Salderns als Mensch und Vorgesetzter, die moralischen Aspekte seines Wirkens. In seinen Schriften plädierte dieser für eine humane Menschenbehandlung, lehnte »Schärfe« als Erziehungsmittel bei der Rekrutenausbildung als »unnatürlich und unmenschlich« 7) ab, der Gemeine wurde nicht mehr »Kerl«, sondern »Pursche« (Bursche) 8) geheißen. Saldern war damit keine Ausnahmeerscheinung im Offizierkorps. Bei der Beurteilung der Menschenbehandlung in der altpreussischen Armee ist zu berücksichtigen, dass der vielgeschmähte preußische Drill mit Hinblick auf die taktischen Besonderheiten der altpreußischen Armee erforderlich 9) und die strenge Disziplinierung durch die soziale Zusammensetzung der Mannschaft notwendig war. Die Strafgewalt wurde gleichzeitig durch eine Reihe von Verboten und Hinweisen in den einschlägigen Bestimmungen, (Reglements, Edikten, Instruktionen ...) eingeschränkt. Diese Normen dienten dazu, übermäßiges Prügeln zu verhindern und den ausgebildeten Berufssoldaten als kostbares »Kapital« in seiner körperlichen Tüchtigkeit zu erhalten, Abgang aufgrund gesundheitlicher Schäden oder Desertion vorzubeugen. Daneben schlossen patriarchalisches Denken, religiöse und humanistische Wertvorstellungen vieler Regimentschefs, -kommandeurs und Kompaniechefs Willkür zwar nicht aus, milderten diese doch zumindest und zogen der Brutalität Einzelner enge Grenzen. Friedrich Christoph von Saldern steht damit stellvertretend für eine große Zahl altpreußischer Offiziere, denen ihre Religiösität ein erkennbares Leitmotiv im Denken und Handeln war, sie zur Fürsorge für ihre Untergebenen verpflichtend.

7) Jany, Curt, Geschichte der Preußischen Armee vom 15. Jahrhundert bis 1914, Nachdruck Osnabrück 1967, III. Band, S. 59.

8) Priesdorff, Saldern, a.a.O., S. 94.

9) Eine durch ständiges Training gesteigerte Feuergeschwin­digkeit, die erhöhte Reichweite der längeren Gewehrmodelle, sowie die von 4 auf 3 Glieder reduzierte lnfanterieaufstellung und die bemerkenswerte Manövrierfähigkeit machten vor­nehmlich die Überlegenheit der altpreußischen Fußtruppen im

Neben diesem Moment im Wirken Salderns, neben Fürsorge- und gesundheitsfördernder Maßnahmen zur »Conservirung« der Soldaten, neben seinem Verdienst um die Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen im Rahmen der Kompaniewirtschaft10) oder als Freiwächter 11), widmete sich Saldern auch den Soldatenfrauen und -kindern, einer Gruppe, der er seit seiner Funktion als Aufseher des Militärwaisenhauses in Potsdam 12) verbunden blieb. Bemüht, die Zivil- und Militärarmenpflege zu verknüpfen und auszubauen, stellte er die Unterbringung, Verpflegung und medizinische Versorgung der Soldatenfrauen und-kindersicher 13). Diese einkommensschwache Gruppe war in ihrer wirtschaftlichen Lebensführung in Ermangelung eines staatlichen Sozialversicherungssystems stets gefährdet, und insbesondere bei Ableben des Haushaltsvorstandes oder bei Mobilmachung auf staatliche Unterstützung oder Selbsthilfe angewiesen.

10)     Kompaniewirtschaft als zentraler Begriff der altpreussichen Militärwirtschaft ist ein Relikt aus der Zeit der Söldnerheere und bezeichnet im 18. Jahrhundert den Rest der Selbstbewirt­ schaftung der Truppenteile durch ihre Inhaber= Chefs; nach 1763 wurden deren Rechte und damit deren finanzieller Spielraum weiter erheblich eingeschränkt.

11) Freiwächter (Stadtbeurlaubter) im Gegensatz zum Landbeur­laubten ist der innerhalb der Garnison ohne Bezüge vom (Wach-)Dienst beurlaubte Soldat (zumeist Ausländer und Professionist); er betreibt eine private gewerbliche Tätigkeit.

12) Gestiftet von König Friedrich Wilhelm I. (1713-40); der Bau begann 1722. Anstalt zur Unterbringung, Erziehung und Ausbildung von Soldatenkindern nach dem Vorbild der Franckeschen Stiftungen zu Halle zu den »Fürsorgemaßnahmen für Soldatenfrauen und -kinder in der altpreußischen Armee« vergl. insbes. den Aufsatz des Verfassers in: Zeitschrift für Heereskunde, Nr. 328, 1986, S. 139 ff..

14) Reglement vor die König!. Preuß. Infanterie, Berlin 1743, S. 603/604, zur Beziehung des Militärs zum städtischen Umfeld vergl. auch:Schwieger, Klaus, Militär und Bürgertum. Zur gesellschaftlichen Prägkraft des preußischen Militärsystems im 18. Jahrhundert, in: Blasius, Dirk (Hrgb.), Preußen in der deutschen Geschichte, Königstein/Taunus 1980, S. 179 ff

Gleichzeitig bildete das kopfstarke Militärproletariat eine soziale Belastung für die Kommune, insbesondere durch die Einquartierung verheirateter Soldaten nebst Familie; diese wurden aber nach 1763 verstärkt kaserniert. Die Mild- und Wohltätigkeit Salderns erklärt sich zum einen durch seine dienstliche Verantwortung als Inspekteur und Regimentschef für die Mitglieder der ihm anvertrauten Militärkolonie, zum anderen auch durch die geistigen Strömungen der Zeit: der Humanismus und die Aufklärung entwarfen ein neues Bild vom Menschen, machten den Zeitgenossen sensibler für soziale Härten im Leben der Mitmenschen, gleichzeitig forderte der Pietismus als religiöse Erweckungsbewegung ein aktives Christentum, aufbauend auf dem christlichen Grundsatz der Nächstenliebe. Die Erziehung der Soldatenkinder in regimentseigenen Schulen wurde üblich, kam sie doch letztlich dem Regiment selbst zu Gute, die Soldaten­ söhne waren die Rekruten von morgen.

Küster, dem Bürgerstand angehörig, betont in seinen »Characterzügen ...« vor allem das enge Verhältnis des Generallieutenants von Saldern als Gouverneur von Magdeburg zur Einwohnerschaft der Garnison und weist ausdrücklich auf die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Militär und der Bürgerschaft hin. Ein einträchtiges Miteinander von Militär und Zivil war aber im altpreußischen Staat nicht die Regel, denn obzwar das Militär einen nicht unerheblichen Faktor im Wirtschaftsleben der Garnison darstellte, belastete es doch auch den zivilen Alltag durch umfangreiche Sicherungs- und Kontrollmaßnahmen, Einquartierung, Exzesse und deren öffentliche Bestrafungen. Zugleich kamen dem Militär erhebliche Kompetenzen zu, die nicht nur rein militärische, sondern auch zivile Bereiche umfassten (wie z.B. den Einfluss auf die »Taxe von Brod, Bier und Fleisch« und die Kontrolle von »Maas und Gewichte«14). Die Gemeinde, längst nur noch mittelbares Glied in der staatlichen Verwaltung, musste damit weitere Einschnitte in den verbleibenden Rest an Selbstverwaltung hinnehmen. Dadurch waren Mißhelligkeiten vorpro­grammiert. Gleichzeitig übernahm das Militär auch Aufgaben zum Wohle der Garnison, wie Brandschutz, Marktaufsicht und andere Funktionen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Nach Küster hat Saldern seine gewichtige Stellung als Gouverneur der Stadt Magdeburg unparteiisch und vorurteilslos wahrgenommen, den Umgang mit der Bürgerschaft gesucht und eine freundliche Atmosphäre angestrebt, von Militärpersonen begangene Exzesse hingegen streng bestraft. Das dieses Einvernehmen zwischen Gouverneur und Bürgerschaft nicht selbstverständlich war, beweisen z.B. die Konflikte in Breslau, Halle, Hamm und Stettin.

Eine Episode des Lebensweges Generallieutenants von Saldern ist im besonderen Maße von Interesse, gibt jedoch dem heutigen Betrachter auch Rätsel auf, es ist dies die Hubertusburger Kommission des Jahres 1761. Im Jahr zuvor war die ungeschützte Hauptstadt Preußens, Berlin, für wenige Tage zum zweiten Mal 15) von einem feindlichen Detachement, bestehend aus russischen, österreichischen und sächsisch­-polnischen Truppen, besetzt worden. Der königliche Feldherr stand zwischenzeitlich weitab in Schlesien der österreichischen Hauptarmee unter Feldmarschall Leopold, Reichsgraf von Daun (1705-1766) gegenüber. Bevor die Okkupanten dem nahenden Entsatz weichen mussten, wurde der Stadt eine Kontribution auferlegt, das Zeughaus geplündert, im Gießhaus, in der Münze, in der Pulverfabrik und an den Gewehrfabriken in Potsdam und Spandau -Zerstörungen angerichtet, die Schlösser zu Nieder-Schönhausen, Friedrichsfelde und Charlottenburg verwüstet. Für die Ausschreitungen waren nach Jany 16) vornehmlich österreichische Husaren und sächsisch-polnische Ulanen verantwortlich gewesen. Unersetzbare Kunstschätze gingen verloren, so auch die ehemals dem Kardinal von Polignac gehörige Antikensammlung. Hierzu schreibt der Graf Ernst Ahasverus Heinrich von Lehndorff (1727-1803) in seinem geheimen Tagebuch unter dem 19.X.1760: »Ich muss immer wieder an die Polignacschen Statuen denken, die im Charlottenburger Schlosse zerstört worden sind. Von den alten Griechen bewundert, von den Römern in Ehren gehalten und von den Goten und Hunnen und allen Barbarenvölkern verschont, haben sie nun schließlich bei uns durch die Hände der Österreicher und Sachsen ihr Grab gefunden« 17}.

15) Berlin war bereits im Oktober des Jahres 1757 von einem österreichischen Streifkorps besetzt gewesen, vergl. u.a.: Der Zug des Oestereichischen Generals Haddik gegen Berlin vom 12. bis 22. October 1757, in: Jahrbuch für Armee und Marine, Bd. 27, S. 91 ff.

16) Jany, a.a.O., Bd.II., S. 574, vergl. auch: Großer Generalstab (Hrgb.), Der Siebenjährige Krieg 1756-63, Bd. 13, Berlin 1914, S. 272. Henri de Catt vermutet, dass es sich bei den Plünderungen um Repressalien für die Verwüstungen der Brühl`­ schen Schlösser gehandelt hat (Schüßler, Willy (Hrgb.), Friedrich der Große. Gespräche mit Henri de Catt, München 1981, S. 502).

17) zitiert nach: Kuenheim, Haug v. (Hrgb.), Aus den Tagebüchern des Grafen Lehndorff, München 1984, S. 129.

Der Exzeß hatte aber Folgen, denn im Folgejahr revanchierte sich König Friedrich II. mit der systematischen Ausplünderung des sächsischen Jagdschlosses Hubertusburg nahe Leipzig. Nach Küster war es Saldern, dem die Ausführung des diffizilen Auftrages vom König übertragen wurde. Saldern verweigerte jedoch den Gehorsam, lehnte mit den Worten »Euer Majestät halten zu Gnaden, das ist gegen meine Ehre und Eid!« 18) die heikle Kommission ab, ethische Argumente waren sein Motiv. Er fiel daraufhin in Ungnade, wurde krank und verließ für einen längeren Urlaub die Armee, kehrte aber im Frühjahr zurück, übernahm ein Kommando und wurde durch die Rangerhöhungen des Jahres 1766 voll rehabilitiert. Unter Oberst Karl Theophilus Guischard(t), genannt Quintus Icilius (1724-1775), plünderten schließlich Freitruppen das prächtige, reich ausgestattete Gebäude mit krimineller Energie nur zu gründlich aus.

18)   Küster, Ckaracterzüge ..., S. 42.

Nun, wo ist die Problematik verborgen? Das Schicksal des kurfürstlichen Jagdschlosses ist ohne Zweife!  es wurde ausgeraubt, und der auf königlichen Befehl handelnde Täter ist der minder integere Oberst Guischard(t). Nicht sicher festzustellen ist aber, wer sich dem König tatsächlich verweigerte? Bei Küster erstrahlt Saldern im hellen Licht, ihm folgen die Klassiker Preuß, Carlyle und Kugler, Lippe schließt sich an. Archenholz und Jany erwähnen das Geschehnis gar nicht. Irritiert registriert man aber, dass noch ein anderer Name mit der Hubertusburger Affäre in Zusammenhang gebracht wird:

F.A.L. v. d. Marwitz (1777-1837) lässt in seiner Lebensbeschreibung 19) einem Vorfahren, nämlich seinem Onkel, dem Obersten Johann Friedrich v. d. Marwitz die Hauptrolle in dem Konflikt zwischen Subordination und Ehrauffassung zukommen. Wie Saldern, lehnte auch Marwitz die Beteili­ gung und persönliche Bereicherung an der anrüchigen Vergeltungsaktion ab, seine Eigenschaft als Kommandeur des vornehmen Kürassierregimentes Gendarmes (K 10, Berlin) hervorhebend. In Ungnade gefallen, schied er 1769 freiwillig aus der Armee aus und zog sich auf seine Güter zurück 20).

19)       Meusel, Friedrich (Hrgb.), Friedrich August Ludwig von der Marwitz. Ein märkischer Edelmann im Zeitalter der Befreiungskriege, Berlin 1908, Bd. 1., S. 11. In Friedersdorf wurde ihm von seinen Nachkommen ein Grabstein gesetzt mit der bezeichnenden Inschrift: »Sah Friedrichs Heldenzeit und kämpfte mit ihm in allen seinen Kriegen. Wählte Ungnade, wo Gehorsam nicht Ehre brachte«.

20)       vergl. Priesdorff, Kurt von, Soldatisches Führertum, Bd. II., S. 119 ff., v. d. Marwitz wurde am l.IV.1778 als Generalin­ tendant des vivres wieder angestellt und am 10.IV.1778 zum Generalmajor befördert.

 

Hier wird eine spezielle Art von Ehrauffasung sichtbar. Diese Freiheit im Gehorsam ist eine Denk- und Handlungsweise, die wenig gemein hat mit dem Etikett des »Kadavergehorsams«, welches häufig dem preußischen Offizierkorps angeheftet wird. Auf den Widerspruch in der Person hat schon Kluth 21) hingewiesen, - im Raume bleibt die Frage: Saldern und/ oder Marwitz?

21)  Kluth, Rolf, Die Ehrauffassung im Preussischen Heer des 18. Jahrhunderts, Diss. Berlin 1941, S. 191 ff, vergl. aber auch: Leuschner, Hans, Friedrich der Grosse. Zeit - Person - Wirkung, Gütersloh 1986, S. 87 und Schoeps, Hans-Joachim, Preussen. Geschichte eines Staates, Berlin o. J., S. 332 ...

Friedrich Christoph von Salderns Geburt, fünf Jahre nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms I., fällt in die Zeit des »Stilbruches« (Bleckwenn), der brüsken Abkehr von der korrupten Mißwirtschaft unter König Friedrich I. (1657-1713) und dessen aufwendigen, verschwenderischen und üppigen, auf Repräsentation bedachten und den prunkvollen Hof Ludwigs XIV. (1638-1715) imitierenden Hof- und Lebensführung. Der Periode inhaltlicher Neuorientierung und wirtschaftlicher, sowie gesellschaftlicher Umstrukturierung in bewusster Ausbildung preußischer Eigenarten folgte unter Friedrich dem Großen der spektakuläre und dramatische Aufstieg des Staates »aus dem Sand« (Simon) in den Kreis der europäischen Großmächte. Im Jahre vor dem Ableben des alten Königs, der sowohl bedeutendsten, als auch widersprüchlichsten Hohenzollernpersönlichkeit (17.VIII.1786), starb Saldern in Magdeburg, ein Zeitgenosse der beiden wesentlichen Epochen der Prägung (1713-40) und der Bewährung (1740-86) des altpreußischen Staates.

Friedrich Christoph von Saldern (02. I.1719 in Plattenburg in der Prignitz; † 14.III.1785 in Magdeburg). Zeitgenössisches Porträt.

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