Die Freiwächter in der altpreußischen Armee

Der Aufsatz wurde ursprünglich veröffentlicht in: Zeitschrift für Heereskunde, Nr. 360 März/April 1992, S. 32 ff.

Struktur des altpreußischen Ergänzungssystems

Die altpreußische Armee setzte sich aufgrund ihres eigentümlichen Ergänzungssystems aus In- und Ausländern zu­sammen, wies somit eine heterogene Struktur mit Merkmalen des Berufs- und Wehrpflicht-Soldatentums auf. Die in die Regimenter eingestellten Kantonisten aus den Wehrersatzbezirken waren im Grunde zeitlich unbegrenzt dienst­ pflichtig, jedoch wurde ihre aktive Dienstzeit durch Beurlaubungen unterbrochen. Das Privileg einer zeitweisen Freistellung vom dienstlichen Alltag erfuhren aber nicht nur die aufgrund einer allgemeinen Wehrpflicht mit Exemtionen dienenden Inländer, sondern auch Teile des Ausländerkontingentes kamen unter Umständen in den Genuss einer solchen Entlastung.

Das Beurlaubungswesen

Lediglich während der Exerzierzeit waren die Regimenter an Offizieren, Unteroffizieren und Gemeinen komplett. Nach den „drei fürchterlichen Tagen" (Kaltenborn) der Spezial- und Generalrevue am Ende der Exerzierzeit verblieb nur ein Teil der Soldaten in den Garnisonen und verrichtete dort den umfangreichen Wach- und beschränkten Exerzierdienst. Das Gros der inländischen Soldaten wurde bis zum Beginn der nächsten Exerzierzeit in das heimatliche Dorf oder Gut beurlaubt, darüber hinaus ein Teil der Diensttuer innerhalb der Garnison zum Zwecke gewerblicher Aktivitäten freigestellt. Die Löhnung dieser beurlaubten Mannschaften verblieb dem Etat des entsprechenden Kompanie-Inhabers. Dafür musste dieser „alle Unkosten, welche bei der Kompagnie vorfallen, bezahlen" 1), vor Einführung der königlichen Werbung (1764) 2) die das Kantonsystem ergänzende und sehr kostspielige ausländische Werbung finanzieren, später bei Gewährung einer begrenzten Anzahl von Beurlaubten während der Exerzierzeit die Überkompletten entlöhnen. Ferner wurden die Soldatensöhne aus Kompaniemitteln bekleidet 3) und den subalternen Offizieren der Kompanie entweder eine Zulage oder ein freier Mittagstisch gewährt.

1) Reglement Vor Die König!. Preußische Infanterie..., Potsdam 1726, S. 588.

2) Die königliche Werbung ersetzte ab 1764 die Selbstwerbung der Regimenter, hiervon gab es aber Ausnahmen. Einige Regimenter büßten nur einen Teil der Beurlaubtengelder ein, wobei die Anzahl der abgezogenen Traktaments differierte. Anderen Einheiten beließ man die eigene Werbung ganz. 1787 wurde die königliche Werbung dezentralisiert, d.h. die Regimenter warben wieder selbst. Hierfür er hielten sie einen bestimmten Pauschbetrag an Werbegel dem, die Löhnung der Beurlaubten verblieb aber außer während der Exerzierzeit der königlichen Kasse. In den ersten Jahren der Regierungszeit Friedrich Wilhelms III. wurde erneut die königliche Werbung eingeführt.

3) Mente, W., Von der Pieke auf. Erinnerungen an eine neun und vierzigjährige Dienstzeit in der Königlich Preußischen Artillerie, Berlin 1861, S. 24.

Durch diese Praxis ermöglichte sich der relativ kleine, dünn besiedelte, nicht gerade mit Rohstoffen gesegnete und überdies mit einer bedenklichen geographischen Streulage belastete altpreußische Staat die Unterhaltung eines kopfstarken Heeres, gleichzeitig verringerte sich die militärische Beanspruchung der einheimischen Bevölkerung und der Volkswirtschaft wurden die dringend benötigten Arbeitskräfte nur zeitweise entzogen.

Zeitgenössische Stimmen

Ein Element dieses ausgeprägten Beurlaubungssystems waren die oben genannten Stadtbeurlaubten, Freiwächter genannt.

Über sie äußert sich Berenhorst wie folgt „Stadtbeurlauber, im Gegensatz des Landbeurlaubten, ist derjenige, so ein Handwerk oder sonst einen gewissen Broterwerb treibt, in der Garnison lebt, zuweilen, wenn man ihm nicht ganz traut, nicht einmal vor das Thor darf, aber weder Löhnung noch Quartier, noch kleine Montierungsstücke zieht. Freiwächter ist derjenige, welcher so viel verdienen kann, daß er den Hauptmann seinen Sold läßt und dafür keine Wachen thut; übrigens muß er wie ein Dienstthuender versorgt werden, tritt aber bei jeder Gelegenheit mit unter das Gewehr " 4).

4) Berenhorst, G. H. v., Betrachtungen über die Kriegskunst, Leipzig 1827, S. 179.

Ein anderer Zeitgenosse, Archenholz, beurteilt diese Einrichtung hingegen weniger kritisch:,,Außer diesen (Anmerkung: Landbeurlaubten) wurden noch andere, zum Teil Ausländer, unter dem Namen „Freiwächter" in den Besatzungsstädten von Zeit zu Zeit beurlaubt, um durch ihrer Hände Arbeit ihren Unterhalt zu verbessern und ihren Mitbürgern zu nützen. Während dieser Zeit fiel ihr Sold dem Kompaniechef zu, der wie ein wahrer Hausvater für alle Bedürfnisse seiner Soldaten sorgen mußte; selbst ihre Weiber und Kinder, deren Aufführung, Erwerbsmittel und weiteres Fortkommen waren seiner Aufmerksamkeit empfohlen" 5).

5) Archenholz, J. W. v., Gemälde der preußischen Armee vor und in dem Siebenjährigen Kriege, Berlin 1791, S.29 ff.

Offizielle Institution der Freiwächter

Geht der Begriff „Freiwächter" bis in die Zeit des Großen Kurfürsten zurück 6), wurden diese vor allem unter Friedrich Wilhelm I. ein wesentlicher Baustein des Beurlaubungswesens.

Das Werbungsreglement vom 13.09.1732 bestimmte: ,,Wann auch eine Kompagnie wegen vieler Ausländer nicht eine genugsame Anzahl auf das Land verurlauben könnte, so soll der Kapitain suchen, in die Stadt die Leute, welche eine Profession haben, bei die Handwerker zur Arbeit unterzubringen, welche aber keine Profession haben müssen als Tuchmacher, als Wollspinner und sonsten als Handlanger untergebracht werden" 7). Die Zahl der Beurlaubungen von In- und Ausländern auf das Land und in die Stadt durfte allerdings aus Gründen des Dienstbetriebes eine gewisse Grenze nicht überschreiten: ,,Es soll vom 1ten Aprilis bis den lten Junii alles bey den Fahnen seyn, und keiner fehlen; Wann aber gemeine Soldaten Urlaub haben wollen, können die Caitaines in den übrigen Monaten selbige verurlauben, jedennoch so viel Leute bey der Compagnie bleiben müssen, daß alle Tage 20, Musquetiers auf die Wacht ziehen können, und ein jeder Soldat 2. bis 3. Nächte von der Wacht frey sein kan" 8). Diese Maßgabe sollte nicht durch „doubliren oder Lohnwachen" unterlaufen wer­den (Befehl vom 20.VI.1746 beim Infanterie-Regiment No. 22). Der Artillerist Mente berichtet aber, dass die Lohnwächterei üblich war und es ist anzunehmen, dass dies auch bei den anderen Waffengattungen praktiziert wurde.

6) Jany, C. v., Geschichte der Preußischen Armee vom 15. Jhdt. bis 1914, Berlin 1928, Bd. 1., S. 709. Der Begriff ,,Freiwächter" wird auch in einem Bericht über die Musterung des Bataillons Alt-Dohna (No. 16) vom 4. August 1700 gebraucht, Kopka v. Lossow, Geschichte des Grenadier-Regiments König Friedrich I. (4. Ostpreußisches) Nr. 5, Berlin 1901, Bd. l., S. 139.

7) Becher, Paul, Der Kronprinz Friedrich als Regiments­-Chef in Neu-Ruppin von 1732-1740, Berlin 1892, S. 119.

8) Reglement Vor Die Königl. Preußische Infanterie..., Berlin 1743, S. 597 (inhaltsgleich mit der Norm des Reglements von 1726, S. 569/570, lediglich die Dauer der Exerzierzeit ist um einen Monat verkürzt). Ähnlich auch die Bestimmungen des Reglements von 1714, S. 239 ff.

Eine Musketier-Kompanie, die seit 1763 62 Beurlaubte zählte, hatte einen Diensttuerstamm von 60 Köpfen (51 Aus- und 9 Inländer) 9). Nach der halben Augmentation zählte dieselbe 67 Beurlaubte und 75 Diensttuer (71 Aus­ und 4 Inländer). Laut KO vom 6.XII.1800 standen sich nunmehr in einer Musketier-Kompanie 65 bzw. 66 Beurlaubte (Inländer) und 93 Diensttuer (76 Aus- und 17 Inländer) gegenüber.

Beurlaubungsquoten

Ausnahmen von diesem Etat konnten durch die besonderen Umstände der Garnison bedingt sein. So beurlaubten die Regimenter der Berliner Garnison zu Beginn des 19. Jahrhunderts nur 468 Gemeine, während die übrigen Infanterie-Regimenter 588 Gemeine je Regiment beurlaub­ten. Diese Beschränkung war durch den umfangreichen Berliner Wachdienst begründet, der einen höheren Diensttuerstamm als gewöhnlich bedingte 10). Auch die Kavallerie durfte nur eine geringe Quote außerhalb der Exerzierzeit vom Dienst freistellen, da die Pflege der Pferde eine bestimmte Zahl an in den Standquartieren verbleibenden Kavalleristen erforderte; jedem Diensttuer sollten höchstens zwei Pferde zur Wartung obliegen. Die Gardetruppen hatten ebenso einen begrenzten Beurlaubungsrahmen; Scheelen berichtet in seinem Tagebuch über die Gegebenheiten beim Garde Grenadier-Bataillon (No. 6, Potsdam) im Jahre 1755:

 „Das Retzowsche Bataillon (No. 6) muß ihren Leuten 5 Nächte frei von der Wache geben; 38 Rotten ist eine Kompagnie stark (Anmerkung: = 114 Mann), in 5 Tagen kommen 27 Rotten auf, bleiben noch 11 Rotten (Anmerkung: = 33 Mann), davon werden per Kompagnie 3, 4 bis 12 Landeskinder nach Schlesien und Preußen, nach einer speciellen Erlaubniß seit 2 Jahren beurlaubt, die übrigen sind in Potsdam Freiwächters, 10 Mann müssen sie noch aparte bei der Kompagnie vor die Kranken und die neuen Leute behalten, deswegen sie nur ungefähr 30 Mann per Kompagnie missen können. Das ganze Bataillon hat ungefähr 30 Beurlaubte, doch ohne die Freiwächters. Bei Prinz Heinrich (No.35) aber hat ein Kapitain wohl 60 Mann beurlaubt und Freiwächters" 11).

10) Großer Generalstab (Hrgb.), Aus dem Gamisonleben von Berlin und Potsdam, 9. Heft der Urkundlichen Beiträge und Forschungen zur Geschichte des Preußischen Heeres, Berlin 1906, S. 4.

11) Großer Generalstab (Hrgb.), Potsdamer Tagebücher 1740 bis 1756, 10. Heft der Urkundlichen Beiträge und For­schungen zur Geschichte des Preußischen Heeres, Berlin 1906, S. 40, zur Situation bei No. 35 vgl. auch Taeglichsbeck, Das Füsilier-Regiment Prinz,Heinrich von Preußen (No. 35) 1740-86, Berlin 1891, S.166.

Diensttuer und Beurlaubte - Zahlen

Über das etatmäßige Limit an Beurlaubungen hinaus be­freiten die Kompaniechefs eine Anzahl von Soldaten als Freiwächter vom Dienst. Preuß 12) folgend waren um 1786 neben den „Landbeurlaubten" noch 45 000 Mann als Frei­ wächter beurlaubt, so daß „eigentlich nur 98 000 Mann zum Dienste benutzt, 92 000 beurlaubt waren" 13). Nach Jany 14) waren im Jahre 1788 bei der Infanterie 50 338 Soldaten (36%) beurlaubt, 11 340 Freiwächter (8%) und 77 310 Diensttuer (56%), bei der Kavallerie galten hingegen 9 900 (32%) als Beurlaubte, 2 360 (%) als Freiwächter und 18622 (60%) als Diensttuer. Uberkomplette zählte die Infanterie 8 750, die Kavallerie 1 560.

12) Preuß, J. D. E., Friedrich der Große. Eine Lebensgeschichte, Berlin 1833, Bd. IV., S. 317.

13) Diese Angaben basieren auf Boyen's Darstellung der Grundsätze der alten und der gegenwärtigen Preuß. Kriegsverfassung, Berlin 1817, S. 1 ff. Schnackenburg (Friedensstärke des fridericianischen Heeres, in: Bd. 83 der Jahrbücher für Armee und Marine, 1892, S. 183 ff.) hat diese Zahl als „willkürlich" festgesetzt bezeichnet.

14) Jany, a.a.O., Bd. III, S. 185. Jany bezieht hierbei die Feldartillerie bei den Zahlen für die Infanterie mit ein, bei der Infanterie sind die Spielleute und bei der Kavallerie die Unteroffiziere und Trompeter nicht berücksichtigt.

Beruflicher Hintergrund der Freiwächter

Doch wer wurde Freiwächter? - primär natürlich diejenigen, welche eine „Profession" hatten, also ein Handwerk, einen Beruf erlernt hatten, befanden sich doch unter den Soldaten viele ehemalige Gesellen, denen der begrenzte Rahmen der Zünfte keine ausreichende Existenzgrundlage geboten hatte. Wie die „Professionslisten" 15) der Zeit dokumentieren, war die berufliche Herkunft der Soldaten überaus vielfältig. Das Infanterie-Regiment von Hacke (No. 8; Stettin) hatte im Jahre 1783 insgesamt 381 Professionisten, potentielle Freiwächter; je Kompanie 16 bis 47. Die Infanterie-Regimenter No. 2 (1777) und No. 5 (1771) zählten 327 bzw. 543 (darunter 28 Unteroffiziere), bei No. 10 (1766) und bei No. 16 (1805) waren es 401 bzw. 491. Die Professionisten bei No. 8 (1783) - beinahe ausschließlich Ausländer - gliederten sich in 76 Berufssparten, im Grunde war die gesamte Palette des damaligen Erwerbslebens vertreten.

1) Die „Professionsliste" ist ein originärer Bestandteil sämtlicher erhaltener Regimentsbücher. Die je Kompanie außerhalb der Exerzierzeit beurlaubten Freiwächter werden im Gegensatz zu den Landbeurlaubten in der Regel nicht zahlenmäßig ausgewiesen, jedenfalls nicht im Rahmen der vorliegenden zu Regimentsbüchern vereinigten Listen und Tabellen. Laut Jany, a.a.O., Bd. II., S. 249 werden sie aber in den Kompanierapporten von No. 19 aus den Jahren 1747 -53 genannt, es sind je Kompanie 12 bis 24.

Es waren aber auch Soldaten anzutreffen, die geistigen Berufen entstammten. Bekannte Schicksale sind die des Magisters Laukhard im Infanterie-Regiment No. 3 und des Dichters Seume. Fügten sich diese in das System ein, erfuhren sie durchaus eine angemessene Behandlung und hatten die Möglichkeit, als Freiwächter in ihrem Metier zu wirken. Laukhard berichtet: ,,Als ich von der Revue zurückkam, nahm ich Stadturlaub, daß heißt, ich ließ das Traktment dem Kapitän, tat keine Wachen und konnte daher meine Lehrstunden nach mehr Ordnung und Bequemlichkeit abwarten  Herr v. Müffling vertraute mir bald nach meiner Aufnahme bei seiner Kom­panie den Unterricht seines ältesten Sohnes in der französischen Sprache an. Er wußte, daß ich schon damals auf wohlfeilerem Fuß als die gewöhnlichen Sprachmeister unterrichtete, und gab mir doch, so sehr ich auch widersprach, ebenso viel als einem ordentlichen priviligierten Universi­tätssprachmeister und Lektor gegeben wird. Die Frau v. Müffling, eine Dame, die alle Ehrfurcht verdient und die die Menschenliebe und Leutseligkeit selbst ist, behandelte mich besonders gütig. Sehr ungerecht würde ich sein, wenn ich überhaupt es nicht öffentlich rühmen wollte, daß auch die übrigen Häupter der Kompanie mich jederzeit gut und gewissermaßen mit Distinktion behandelt haben" 16).

16)             Laukhard, F. Ch., Magister F. CH. Laukhards Leben und Schicksale, Stuttgart 1908, Bd. 1., S. 256., S253

Wirtschaftliche Tätigkeiten der Freiwächter

Nach Beeger 17) ,,arbeiteten (die Fleißigeren) als Hand­langer bei Maurern und Zimmerleuten, die Meisten standen aber, nach Art der heutigen Eckensteher, auf den belebtesten Straßen Berlins, namentlich in der Nähe der Post, und ließen sich zur Fortschaffung von Sachen u. dergl. verwen­den, wofür sie oft gute Bezahlung erhielten". Bräker, der zu Beginn des Siebenjährigen Krieges im In­fanterie-Regiment No. 13 als Musketier diente, beobachtete zu seiner Zeit in der Residenzstadt Berlin: „Dann spaziert' ich etwa an der Spree und sah da hundert Soldatenhände sich mit Aus- und Einladen der Kaufmannswaren beschäfti­gen, oder auf die Zimmerplätze, da steckte wieder alles voll arbeitender Kriegsmänner. Ein andermal in die Kasernen, da fand ich überall auch dergleichen, die hunderterlei Hantierungen trieben, von Kunstwerken bis zum Spinnrokken..."18). Laut Wachholz glichen „die Casernen  daher Fabriken; dann in jeder Stube standen große Räder und Hecheln, an welchen die Soldaten, während sie im Dienste nicht beschäftigt waren, bis auf's Hemde ausgezogen, und mit bloßen Füßen, vom Morgen bis in die Nacht hinein, Wolle spannen und kratzten. An allen Straßenecken fand man einige dieser Bedürftigen, die Montur über der Schulter und die Axt in der Hand, um für einen geringen Tage­ lohn eine Klafter Holz zu spalten. Zu jeder schweren Arbeit waren sie bereit, und wurden dazu gebraucht. So nahmen sie den Charakter privilegierter Tagelöhner und Lastträger an " 19). Auch nach Mente war die Kaserne (hier: Artilleriekaserne in Breslau), wie eine große Fabrik zu betrachten, und wur­ de nicht-allein von Schneidern, Schustern und anderen Gewerksleuten bewohnt, sondern es wurden auch Gold- und Silberspitzen geklöppelt, feine Wäsche gefertigt usw. Wer aber dergleichen Fertigkeiten nicht besaß, der beschäftigte sich mit Stricken wollener Strümpfe, oder drehte von früh bis spät das Wollspinnrad (der Morgenstern geheißen)" 20).

17) Beeger, F. Yf., Seltsame Schicksale eines alten preußischen Soldaten, Uckermünde 1850, S. 25.

18) Bräker, U., Lebensgeschichte und natürliche Ebent­heuer des Armen Mannes im Tockenburg, hgb. v. H. H. Füßli, Zürich 1789, Nachdruck Stuttgart 1979, S. 107/108.

19) Wachholz, Aus dem Tagebuche des Generals Fr. L. v., Braunschweig 1843, S. 63 ff., auch Oelsnitz (Geschichte des Königlich Preußischen Ersten Infanterie-Regiments seit seiner Stiftung im Jahre 1619 bis zur Gegenwart, Berlin 1855, S. 517) nennt die Freiwächter privilegierte Lohn­arbeiter.

20) Mente, a.a.O., S. 28.

Die Soldaten gingen nach weiteren Quellen „nach-alten Glas in die Häuser", unterhielten Spinnereien, stellten,neue Handschuh und Hosen" her und handelten damit, produzierten „Comiss-Schuhe", arbeiteten im „Posamentier"-Gewerbe, schlachteten „Vieh ein" und verkauften das Fleisch, ,,fabricir(t)en Tabak", arbeiteten „beim Häuserbau" als Hilfsarbeiter „unter den Maurers" oder verdienten sich ein Zubrot als „Zimmerleute oder Tagelöhner". Soldatenfrauen handelten mit „Kaufmannswaren" bzw. betrieben ei ne Höckerei. Der überwiegende Teil der Soldaten arbeitete aber im Textilgewerbe, vor allem in den großen Städten hatten sie eine bedingte Existenzmöglichkeit. Die Soldaten und ihre Angehörigen fanden ihre Nebenbeschäftigung insbesondere im aufblühenden Fabriken- und Manufakturbestand. Das Lagerhaus in Berlin beschäftigte um 1740 eine große Anzahl „Soldaten und dero Weiber", die täglich um Arbeit nachfragten. Aus Halle wird um 1770 berichtet, dass die Soldaten der Garnison „so stark Wolle spinnen, daß kein Mangel an Gespinst in Halle ist".

Konflikte mit Zünften usw.

Betrieben die Freiwächter regelrecht „bürgerliche Nahrung", waren Konflikte mit den ansässigen Zünften unausweichlich 21). Überliefert sind zahlreiche Beschwerden und Abmahnungen an den maßgeblichen Gouverneur oder Regimentschef, sogar direkte Immediatgesuche an den König. So ergingen am 10.III.1725, 17.XII.1727, 21.X. und 2.XI.1749 entsprechende königliche Erlasse bzw. Circulare wegen der ein Handwerk betreibenden Soldaten. Am 28.VI.1725 befahl eine königliche Ordre, ,,daß kein Soldat als Meister sondern nur als Geselle seine Profession treiben soll" 22). Wollte ein Soldat aber das Meisterrecht erwerben, benötigte er unter Umständen nicht nur das Bürgerrecht, welches in einigen Orten an den eigentümlichen Besitz eines Hauses bzw. Grundstückes gebunden war, sondern auch eine Konzession bzw. Erlaubniß der „Civil-Polizei­ Behörde" 23), der Erwerb von Hausbesitz war den Soldaten jedoch verboten (das Verbot wurde mit Ordre vom 5.IV. 1787 teilweise aufgehoben). Angesichts der Beschwerden der „Gewercke" bleibt aber zu bedenken, dass das starre Zunftwesen im 18. Jahrhundert bereits im Niedergang be­griffen war und das Wirtschaftsleben durch Landhandwerk, Heimarbeit, Manufaktur und Verlagswesen schon neue For­men ausgeprägt hatte. Der Konflikt zwischen den Zünften und den gewerbetreibenden Soldaten gehört deshalb in die veränderte zünftlerische - handwerkliche Landschaft und förderte deren Auflockerung.

21) vgl. Krause, G., Altpreußische Uniformfertigung als Vorstufe der Bekleidungsindustrie, Hamburg 1965. Die Au­ torin betont vor allem die Bedeutung der Freiwächter für die Uniformfertigung auf Kompanieebene im Rahmen der Bekleidungswirtschaft. Gelernten Schneidern unter den Soldaten war die Anfertigung neuer Monturen gestattet.

22) vgl. auch die v. Witzleben veröffentlichten Parolebefehle des Infanterie-Regiments No. 23 (Berlin) aus den Jahren 1750-54,1780-83, Derselbe, A. v., Aus alten Parolebüchern der Berliner Garnison zurzeit Friedrich des Großen, Berlin 1851, S. 51 ff.

23) § 37 des Kantonreglements vom 12.II.1792 und§§ 1820 ff. des Krieges- oder Militairrecht. von G.W.C. Cavan, 1801.

Gesetzliche Regulierungsversuche

Die durch die Klagen provozierten Gouvernements- und Parolebefehle, Verbote und Beschränkungen scheinen auch wenig gefruchtet zu haben, zu stark waren die materiellen Interessen der Mannschaft. Die Verantwortlichen versuchten beiden Seiten gerecht zu werden, was ein Berliner Gouvemementsbefehl aus dem Jahre 1804 (27.Ill.) veranschaulicht: ,,Das hiesige Stadtgericht ist klagend eingekommen, daß viele in Reih und Glied stehende Soldaten wie auch ausrangierte Invaliden bürgerliche Nahrung treiben, und da­ durch die Hantierung der Gewerksmeister geschwächt wird, so trägt dasselbe darauf an, jenen dieses gänzlich zu unter­sagen. Da dieses in Rücksicht ihrer Nahrung nicht geschehen kann, so habe ich bereits die Verfügungen getroffen, daß von allen, so da bürgerliches Gewerbe treiben, monatlich 6 Groschen in die Gewerkskasse, deren Arbeit sie betreiben, bezahlt werden sollen, wogegen sie frei arbeiten können, so wie es vorher gewesen ist. Die Chefs der Compagnien werden dahin gewiesen, daß diese zu einer jeden Kasse sowohl von den Invaliden als auch noch dienenden Soldaten zu entrichtenden Gebühren jedesmal mit dem letzten Tage eines jeden Monats gehörig gegeben werden, welches sie ihren bei den Compagnien stehenden Professionisten bekannt zu machen haben" 24).

24) Großer Generalstab (Hgb.), 9. Heft, a.a.O., S. 26.

Aspekte der Kompaniewirtschaft

Aber auch die Kompanie-Inhaber waren bezüglich der Freiwächter betroffen. Durch die Beschränkung der offiziellen Beurlaubtenquoten und die Einführung der königlichen Werbung hatte die Kompaniewirtschaft erheblich an Attraktivität verloren und deshalb gewann die Einrichtung der Freiwächter, ehemals nur eine flankierende Variante des Beurlaubungswesens, für die Kompanie-Inhaber zunehmend an Bedeutung. Der Missbrauch dieser Verhältnisse durch einzelne Offiziere wird gelegentlich als verfolgt und bestraft gemeldet, stellt deshalb aber noch längst nicht den Normalfall dar; das Freiwächterwesen war jedoch in diesem Sinne anfällig, weil es kompanieintem ablief und rein finanziell orientiert war. Die wesentliche Maßnahme der Landbeurlaubung war dagegen auf mehreren Ebenen kontrollierbar - Regiment, Kompanie, Kanton - und unterlag als maßgeblicher Teil des Kampfes zwischen König und adligen Landständen einer scharfen königlichen Kontrolle.

Schwächen und Missbräuche des Beurlaubungssystems

Schon die Zeitgenossen haben die Entartung der Kompaniewirtschaft erkannt, Autoren wie Berenhorst, Klöden und Marwitz wussten um deren Schattenseiten. Die Freiwächter wurden mitunter von den Kompaniechefs direktiv bestimmt; wer nicht die Möglichkeit (Profession) hatte, das Geschick besaß oder aus Statusgründen (z.B. als Unteroffizier) nicht jeglicher Tätigkeit nachgehen konnte, hatte ein hartes Los. Manche Kompanie-Inhaber verlangten von den Freiwächtern besondere Abgaben oder trotzten ihnen Wachen ab, nur, um die Quote der Beurlaubten erhöhen zu können und damit ihren finanziellen Rahmen auszudehnen. Die erweiterten Beurlaubungen (und die reduzierten Exerzierzeiten) untergruben das Ausbildungsniveau (vornehmlich bei der Kavallerie). Hier konnte die Substanz des Heeres in Mitleidenschaft gezogen werden. Friedrich der Große hat desöfteren vor einer „Verbauerung" der Land-, aber auch der Stadbeurlaubten gewarnt. Am 13.XII.1782 mahnt er in einem Schreiben an den späteren Generalfeldmarschall von Moellendorff, Gouverneur von Berlin:,,Auch müsset Ihr danach sehen, daß die Regimenter nicht mehr Frey Wächter halten als sich gehöret. Sonsten behalten sie zu wenig Leuthe zum Dienst und diese werden dann durch desto öftere Wachten nur Fatiguiret. So wie die vielen Frey Wächter auch nur halbe Soldaten werden. Daraus entstehet auch noch das Uebel, wann die Armee marschiert, so sind die Kerls gewohnt, in Berlin einen Haufen zu verdienen, und weyl das im Felde nicht so seyn kann, so laufen sie davon." 25). Ähnlich äußert sich Friedrich der Große am 9.VI. 1779 gegenüber Generallieutenant v. Ramin: ,,Daß sie Freiwächter haben, ist ganz gut, aber sie müssen nur zusehen, daß selbige nicht so viel gewinnen. Denn wenn so ein Freiwächter des Monats 7 bis 8 Thaler und nach Umständen noch mehr verdient, so wird er dadurch verwöhnt und lebt zu gut, und wenn ein solcher hienächst ins Felde kommt und soll mit 2 Thalem auskommen, so gefällt ihm das nicht, weil er der guten Tage schon sehr gewohnt ist. Das macht ihn unzufrieden und verleitet die Leute zur Desertion" 26).

25) Priesdorff, Soldatisches Führertum, Hamburg o. J., Bd. I., S. 518.

26) Jany, a.a.O., Bd. III., S.47.

Volkswirtschaftliche Aspekte

Die sicherlich berechtigte zeitgenössische Kritik an den Folgen des Freiwächterwesens darf aber die volkswirtschaftliche Bedeutung dieser Einrichtung nicht in den Hintergrund drängen. In dem agrarorientierten altpreußischen Staat war die Industrie entwicklungsbedürftig, es mangelte aber insbesondere an Fachkräften. Unter den Ausländern in der altpreußischen Armee befanden sich viele Facharbeiter, für deren spezielle Fertigkeiten Bedarf bestand. Autoren wie Hinze, Krüger, Schmoller und Skalweit betonen übereinstimmend die Bedeutung der Freiwächter für diese Arbeiterfrage. Inländische Unternehmer versuchten die durch die Werbung ins Land gekommenen qualifizierten Facharbeiter durch Beurlaubung (oder sogar Verabschiedung) für ihre Manufaktur nutzbar zu machen, teilweise durch direkte Eingaben beim König. So engagierte z.B. der Fabrikant Hermann in Lüben (Schlesien) für seine 1764 angelegte Kniestreicherfabrik 3 Dragoner von der Krokkow'schen Leibeskadron. Die drei Soldaten waren ehemalige Tuchmacher aus Aachen.

Fragen der Gerichtsbarkeit

Die Beurlaubten unterstanden nach wie vor der Militärgerichtsbarkeit. Dies war nach Hinze auch für die Unternehmer von Vorteil, da die Soldaten Disziplin gewohnt waren und in einer übersichtlichen Ordnung lebten. Entsprechende Parolebefehle ließen die Soldaten über die Folgen von Fehl­ verhalten nicht im Unklaren: ,,Die Kompagnien, so Freiwächter unter den Maurers haben, sollen ihnen sagen, daß sie sich gegen ihre Meisters, wobei sie arbeiten, nicht übel aufführen und sich gegen Ihnen vergehen, auch übrigens keinen Lärm unter sich anfangen, sonst wird man sie hart bestrafen"(Befehl vom 10.X.1753). Am 27.V.1733 wurden die Freiwächter, die bei der Artillerie dienten und als Gesellen bei Berliner Meistern arbeiteten, angewiesen, sich den Verordnungen vom Magistrat in Handwerksachen zu fügen und „ihnen gehörig nachzuleben", bei Strafe des Gassenlau­fens. Es haben aber durch das Freiwächterwesen nicht nur die Kompanie-Inhaber und Unternehmer profitiert, sondern auch die Soldaten selbst. Durch die Nebeneinnahmen verbesserten sie ihre Lebenshaltung und konnten sogar mitunter einen gewissen Besitzstand erarbeiten 27).

27) vgl. König, Kurzgefaßte Regierung und Staatsgeschichte Friedrich Wilhelm des I. Königs von Preußen. Vom Jahr 1713 bis 1740, Bd. II, S. 219.

Soldat als Verkäufer von Bürsten. Nach einem zeitgenössischen Stich aus dem Jahre 1775.

Literaturverzeichnis (Auswahl):

Büsch, 0., Militärsystem und Sozialleben im alten Preußen 1713-1807, Berlin 1962.

Hinze, K., Die Arbeiterfrage zu Beginn des modernen Kapitalismus in Brandenburg-Preußen 1685-1806, Berlin 1963.

Krüger, H., Zur Geschichte der Manufakturen und der Manufakturarbeiter in Preussen, Berlin 1958.

Kuczynski, J., Geschichte des Alltags des Deutschen Volkes, Köln 1983, II. Bd. (1650-1810).

Lehmann, Max, Werbung, Wehrpflicht und Beurlaubung im Heere Friedrich Wilhelm's I., in: Historische Zeitschrift, Neue Folge, Bd. 31, S. 254 ff.

Schmoller, G., Die Entstehung des preußischen Heeres von 1640 bis 1740, in: Derselbe, Umrisse und Untersuchungen, Leipzig 1898, S. 247 ff.

Marwitz, Aus dem Nachlasse Fr. A. L. v. d., Militairische Aufsätze. - Politische Aufsätze, Berlin 1852.

Skalweit, A., Die Eingliederung des Friderizianischen Heeres in den Volks- und Wirtschaftskörper, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 160,1944, S. 194 ff. Stürmer, M., Herbst des Alten Handwerks. Meister, Gesellen und Obrigkeit im 18. Jahrhundert, München 1986.

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