Die preußische Armee unter Friedrich Wilhelm I. (1713 - 40) - 1. Kapitel - Der preußische Staat im Jahre 1713
In der Mittagsstunde des 25.02.1713 starb im Berliner Schloss Friedrich I., seit dem Jahre 1701 König in Preußen. Bereits am 24.02.1713 hatte der sterbende König den Thronfolger, seinen Sohn, Friedrich Wilhelm nebst Frau und dem am 24.01.1712 geborenen Prinz Friedrich zu sich gebeten, um diese zu segnen. Mit Friedrich I. starb ein Monarch, dessen Gestalt zwischen den drei beherrschenden Persönlichkeiten der brandenburgisch-preußischen Geschichte - dem Großen Kürfürsten, dem Soldatenkönig und Friedrich dem Großen - leicht in den Hintergrund tritt. Verheiratet mit der geistig bedeutenden Sophie Charlotte (1668-1705) war er jedoch nicht nur den schönen Künsten zugetan, sondern hatte während seiner Regierung mit Geschick und großer Energie die Erhebung zum König verfolgt. Da der habsburgische Kaiser der brandenburgischen Waffenhilfe im drohenden Kampf mit Frankreich dringend bedurfte, gab er schließlich dem steten Drängen nach. Die Selbstkrönung Friedrichs I. fand am 18.01.1701 in Königsberg statt. Die Königswürde basierte auf dem außerhalb des Reichsverbandes stehenden Ostpreußen und mit ihr begann für die verstreuten Besitzungen des Hauses Hohenzollern das langsame Zusammenwachsen zu einer staatlichen Einheit, nunmehr hatten die in Tradition, Wirtschaftsstruktur und Interessenlage unterschiedlichen Streubesitzungen einen übergeordneten - ideellen - Bezugspunkt. Hierdurch stieg der Einfluss der Zentralregierung in Berlin. Die Königskrone war insofern symbolisch, da sich in ihr innenpolitisch auch der absolutistische Herrschaftsanspruch manifestierte. Die Rangerhöhung war ferner auch deshalb vonnöten, um nicht innerhalb des Heiligen Römischen Reich deutscher Nation an politischem Gewicht zu verlieren. Bereits im Jahre 1697 war der Kurfürst Friedrich August I. von Sachsen (1694-1733) König von Polen geworden. Aus den verwandschaftlichen Beziehungen des Kurfürsten Georg von Hannover (1698-1727) - seine Mutter Sophia war die Urenkelin von König Jakob I. bzw. Jakob VI. - resultierte daneben die Anwartschaft der Wettiner auf die englische Königskrone. Nachdem der letzte Monarch aus dem Hause Stuart kinderlos verstarb, realisierte sich diese Anwartschaft im Jahre 1714. Hier konnte Preußen nicht zurückbleiben. Durch die Königskrönung übernahm es zudem in der Nachfolge Kursachsens die Rolle als protestantische Schutzmacht im Norden Deutschlands, da der sächsische Kurfürst mit Blick auf die polnische Königskrone zuvor zum katholischen Glauben übergetreten war. Im noch stark religiös geprägten 18. Jahrhundert war dies ein nicht zu unterschätzender Gesichtspunkt, der noch im Siebenjährigen Krieg Wirkung zeigte. Insoweit war die Königswürde mehr als die bloße Befriedigung persönlicher Eitelkeit.
Das Kernland des preußischen Staates des Jahres 1713 bestand aus der Kur- und der Neumark. Nach dem Tod des letzten Herzogs von Jülich kamen in den Jahren 1609 bzw. 1614 Kleve (1793,8 qkm), Mark (2790,6 qkm) und Ravensberg (915,1 qkm) zum Kurfürstentum Brandenburg. Damit wurde das Kernland durch am Niederrhein und damit erstmals westlich gelegene Gebiete erweitert. Im Jahre 1618 stieß das ehemalige Ordensland und nunmehrige Herzogtum Ostpreußen (36180,9 qkm) - zunächst als polnisches Lehen, seit dem Vertrag von Oliva im Jahre 1660 als souveräner Bestandteil - zu Brandenburg. Nach Beendigung des 30jährigen Krieges (1618-48) erhielt das brandenburgische Kurfürstentum im Westfälischen Frieden die Bistümer Halberstadt, Minden (1198,1 qkm) und Cammin, sowie die Grafschaft Hohenstein, Vor- und Hinterpommern (19120,0 qkm) und die Anwartschaft auf das Erzbistum Magdeburg (zusammen mit Halberstadt 8185,6 qkm) zugesprochen. Dem Kurfürsten gelang es aber nicht, ganz Pommern zu erhalten, da die Schweden Vorpommern mit Stettin und der Odermündung zunächst behielten. Als Ausgleich hierfür wurden dem Kurfürstentum einige ehemals geistliche Fürstentümer zugewiesen. Magdeburg konnte im Jahre 1680 und Teile von Vorpommern (5193,7 qkm) erst im Jahre 1720 in Besitz genommen werden. Durch die vorgenannten Erwerbungen umfasste das preußische Staatsgebiet im Jahre 1713 insgesamt 112266,7 qkm, zum Vergleich: im Jahre 1440 war der Herrschaftsbereich der Markgrafen von Brandenburg nur 29477,5 qkm groß gewesen. Die Zahl der Einwohner wuchs unter Friedrich III/ Friedrich I. von 1113700 auf 1672000, also um 47 %. Unabhängig von dem territorialen Zugewinn und der Bevölkerungsvermehrung waren die sachlichen Rahmenbedingungen beim Regierungsantritt Friedrich Wilhelms I. allerdings mehr als bedenklich. Die Bilanz der Regierung seines Vaters war trotz der Erlangung der Königskrone ernüchternd, Friedrich I. hatte als Regent versagt. Der Einsatz der preußischen Truppen auf den Schlachtfeldern des Spanischen Erbfolgekrieges hatte außenpolitisch die Stellung des jungen Königsreichs nicht gefestigt, es konnte im parallel zum Spanischen Erbfolgekrieg statt findenden Nordischen Krieg eigene politische Interessen nicht zur Geltung bringen und noch nicht einmal Übergriffe der Kriegsparteien auf brandenburg-preußisches Territorium verhindern. Die letzten Jahre der Regentschaft waren zudem von Intrigen der Kabinettsminister gegeneinander und allgemeiner Günstlings- und Misswirtschaft erfüllt, allerdings entsprachen die Zustände bei Höfen den üblichen Gegebenheiten des Zeitalters. Das Finanzwesen war zerrüttet und durch Korruption geprägt. Die finanziellen Ansprüche der Hofhaltung in Berlin und die gleichzeitige Unterhaltung eines kopfstarken Heeres als notwendigen Exportartikel hatten den Staatshaushalt trotz ausländischer Subsidien ruiniert. Heinrich meint aber, dass Liquiditätsschwierigkeiten noch keine Rückschlüsse auf die Substanz gestatten [1] und verweist auf einen nicht unerheblichen Münz- und Edelmetallschatz sowie die wirtschaftlichen bedeutsamen Auswirkungen einer Baukonjunktur in den Städten und Dörfern in den mittleren Provinzen.
[1] Gerd Heinrich, Geschichte Preußens. Staat und Dynastie, Frankfurt am Main 1981, S. 142, zur Person Friedrichs I. vergl. zur Person auch: Werner Schmidt, Friedrich I. Kurfürst von Brandenburg/ König von Preußen, München 1996.