Die preußische Armee unter Friedrich Wilhelm I. (1713 - 40) - „Die Langen Kerls“ - zur Geschichte des berühmten Garde-Regiments
Neben No. 3 war das Königsregiment (No. 6) die zweite Infanterie-Einheit mit einem erhöhten Etat Bereits vor Entstehung der stehenden Heere stellten Fürsten zum Schutz ihrer eigenen Person besondere Formationen auf, die teilweise bereits im 16. und 17. Jahrhundert einheitlich gekleidet waren und vor allem eine prächtige Bekleidung aufwiesen, als Beispiele seien hier die Schweizer-Garde des Kirchenstaates (1506 errichtet), die Königliche Trabanten-Garde in England (1485 errichtet), die Königliche Adels-Garde in Spanien (1646 errichtet) und das Königliche Musketier-Korps in Frankreich (1622 errichtet) genannt. Für diese Leib-und Schutzwachen wurde die Bezeichnung: Garde allgemein üblich (franz. garde = schützen, behüten, bewachen).
Auch in Preußen gab es Gardetruppen, so gehörten zum Bestand der Armee (insgesamt etwa 40000 Mann), die König Friedrich I. hinterließ, auch verschiedene Gardeformationen, nämlich die Grenadier-Garde (1223 Mann, General-Major v. Gersdorf), die Füsilier-Garde (2136 Mann, Generalfeldmarschall Graf v. Wartensleben), das Leib-Regiment zu Fuß (1406 Mann, General-Lieutenant v. Arnim), die Schweizer-Garde (124 Mann), die Garde du Corps (312 Mann), ehemals Trabantengarde zu Pferd (General-Lieutenant v. Tettau), die Grands-Mousquetaires (ab 1691 Gensdarmes) bzw. die Gensdarmes (98 Mann, General-Lieutenant v. Natzmer), das Leib-Regiment zu Pferde (483 Mann, General-Major v. Hackeborn) und das Leib-Regiment Dragoner (646 Mann, General-Lieutenant v. Wreech)1.
Unter Friedrich Wilhelm I. gingen die nach französischem Vorbild errichteten kostspieligen Haustruppen ein. Die Schweizer-Garde sollte am 02.05.1914 ihres Eides entbunden, die Soldrückstände bezahlt und die Soldaten dann verabschiedet werden. Dies widersprach eindeutig der mit dem Schweizer Kanton Bern abgeschlossenen Kapitulation, der König befahl jedoch: „Ist mein Will, ohne zu resonnieren“2. Die Füsiliergarde wurde unter den Feldregimenter verteilt, wobei die ehemals privilegierten Einheiten über dieses Schicksal natürlich nicht erbaut waren: „Des Morgens umb 5 Uhr hat der König dennoch daselbst über Schwedische Gefangene, so nach langen Wiedersetzen Dienste zu nehmen persuadiret worden, besehen und darauf zu einem errichtenden zweyten Bataillon dem Gen. Major von Gersdorff gegeben, maßen das eine Bataillon, sogenannte Schloßgrenadirer, so allein die Wache aufm Schloß einige Jahre versehen, und an tractement und range vor andern viel voraus gehabt, auf den Fuß eines Feldregiments zu deren großen Mortification gesetzet, und besagten Gen. Major von Gersdorff, welcher solches Bataillon allezeit commendiert noch eines dazu aufzurichten gelaßen worden, dem auch neue Fahnen am 29ten bey der revue im Thiergarten gegeben und nunmehro das Gersdorffsche Regiement benennet worden. Die Burs(ch)e seyn zimlich mißvergnügt und wie sie bey der revue in gegenwart des Königs ihre Grenadiermützen abgeleget und dagegen Hüthe empfangen haben einige mit Ungestüm, Klageworten und mächtigen Fluchen solche zur Erden geworffen, weil sie nicht allein auf einmahl aller praerogativen beraubet, sondern auch sogleich aus dieser Residentz in die kleine Städte aufm Lande verleget worden. Man hat sie immer die Schloß-Cavalier genand, weilen es so ansehnliche und mit proprer Mondur versehene Leute, maßen es alle aus denen Preußischen und hiesigen gardes ausgesuchte Leute seyn. Im Durchmarchiren durch diese Stadt haben die Officier genug zu thun gehabt, sie zu besänftigen, maßen sie gesagt, daß ein jeder sie auslachete und mit Fingerm auf sie zeigete, worauf die Officier geantwortet, weil die Sache neu, so müßte man solches den Leuten gönnen; es würde bald aus deren Gedancken kommen“3.
Charakteristisch für Preußen blieb seit der Zeit des Soldatenkönigs, dass die Garden weniger zum Sicherheits- und Ehrendienst, sondern mehr als vorzügliche Feldtruppen zum Einsatz kamen und zu Mustertruppen avancierten. Die einzige diesbezügliche Ausnahme war (später) die aufgrund der AKO vom 30.03.1829 errichtete Garde-Unteroffiziers-Kompanie, die als Schlosswache in Potsdam Dienst tat und eher Versorgungscharakter für verdiente Unteroffiziere hatte.
Als eigentliche Gardetruppen galten unter Friedrich Wilhelm I. das sogenannte Königs-Regiment (No. 6) und das Regiment zu Pferde K 10. Das Königs-Regiment umfasste 3 Bataillone und zählte im Jahre 1723 insgesamt 2773 Mann (Leib-Bataillon, 2. und 3. Bataillon und Unrangierte). Es sollte als die Potsdamer Riesengarde bzw. die Langen Kerls in die Geschichte eingehen. Der eigentliche Ursprung der Potsdamer Riesengarde ist in den militärischen Aktivitäten des Kronprinzen in Wusterhausen zu suchen. Die Herrschaft Wusterhausen hatte der Kronprinz im Jahre 1698 von seinem Vater zum Geschenk erhalten und hier regierte Friedrich Wilhelm wie in einem Staat im Staate, allerdings in einem stark verkleinerten Maßstab. Der Kronprinz kümmerte sich um kleine Verwaltungsangelegenheiten, Gutsangelegenheiten, Fischerei und Holznutzungen, Abgaben der Bauern usw., insgesamt entstand in Wusterhausen unter der Ägide des Kronprinzen ein funktionierendes Wirtschaftsgut. Hinrichs hat Wusterhausen nicht nur als Keimzelle der künftigen Regierung aus dem Kabinett und als Ausgangspunkt der Domänenverwaltung bezeichnet, sondern stellt auch fest, dass von hier aus die militärische Tätigkeit des Kronprinzen ihren Ausgangspunkt nahm: „Auch der junge Friedrich Wilhelm hat sich nicht mit seiner offiziellen Berliner Kadettenkompanie begnügt. Er hat in Wusterhausen frühzeitig begonnen, seine Jagdbedienten und Treiber militärisch in Reih und Glied aufzustellen und zu exerzieren. Aus einem Arsenal, für das ihm sein vielbewunderter Oheim Markgraf Philipp Wilhelm Mörser, alte Gewehre und Monturen schenkte, wird er diese Schar bewaffnet und eingekleidet haben. Diese kleine Garde soll im Laufe der Zeit auf 30 Mann angewachsen sein, die in drei Gliedern aufgestellt wurden; das erste Glied erhielt Grenadiermützen, die beiden anderen Glieder Füsilierhüte. Der Markgraf Philipp Wilhelm lieferte ihm aber nicht nur Ausrüstungsgegengstände, sondern lenkte ihn offenbar auch auf die Vorliebe für besonders langgewachsene Soldaten. Nach den Erinnerungen Raumers, des Sekretärs des Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau, hatte Philipp Wilhelm in den Jahren 1701 bis 1703 in seinem Regiment einen Hauptmann namens Mühlen, der die bisher auf die einzelnen Kompanien verteilten Grenadiere in einer einzigen Kompanie zusammenfasste, um einen militärisch schönen Eindruck zu erzielen. Denn die Grenadiere, ursprünglich Handgranatenwerfer, waren Elitesoldaten, deren man sich zu vigoureusen Aktionen, wo es gefährlich zugeht, bediente, Stoßtruppleute, zu den jungen, ansehnliche, starke, dauerhafte, ramassierte Leute` ausgewählt wurden, die nicht weibisch aussehen, sondern fürchterlich, von schwarzbraunen Angesicht, schwarzen haaren, mit einem starken Knebelbart, nicht leicht lachen oder sich freundlich anstellen. Der Eindruck dieser groß gewachsenen Leute wurde durch die hohe, spitze Grenadiermütze erhöht, die sie an Stelle des Hutes der Musketiere und Füsiliere trugen.
Die Leute dieser großen Grenadierkompanie im Regiment des Markgrafen Philipp Wilhelm, alle von der größten und gleichmäßigsten Figur, gedrillt und geübt, wie sie durch die unermüdliche Sorgfalt ihres Hauptmanns waren, bildeten den Gegenstand der Freude und der Bewunderung für alle, die sie sahen. Dieser Geschmack wurde in den folgenden Jahren Mode, und der Fürst Leopold war der erste, der sie nachahmte: Für die Grenadiere wählte man aus allen Regimentern die größten Leute aus, und wenn man sie dort nicht fand, suchte man sie anderswo“4. Der Kronprinz übernahm diese militärische Mode und ergänzte ab 1707 seine Jagdkompanie durch reguläre Soldaten, die häufig Söhne und Knechte seiner Gutsuntertanen waren. Im Laufe der Zeit entstand so eine elitäre militärische Formation, die seinen militärischen Geschmacksvorstellungen und denen der sogenannten Grenadierväter im besonderen Maße entsprach. Nach Auflösung der bisherigen Grenadiergarde wurde im Jahre 1714 nur ein Bataillon, die sogenannten weißen Grenadiere behalten, diese bildeten gemeinsam mit dem aus der vorgenannten Wusterhausener Jagdkompanie hervorgegangenen sogenannten Roten oder Großen Leibbataillon Grenadiere und dem bisherigen Regiment Kronprinz das neue Königs-Regiment (No. 6). In den Berliner geschriebenen Zeitungen (1713-17, 35, S. 550) heißt es unter dem: „Das project der combination der großen Leib-Grenadierer mit dem Königlichen Leib-Regiment, welches vor mehr als 2 Monathen gemachet, ist jetzo vollkommen resolviret, daß nemlich aus beyden ein Königliches Leib-Regiement formiret werden, welches aus 4 Bataillons bestehen soll, unter denen die 2 große vor wie nach den rang behalten“. Die Bezeichnung Rothes Leib-Bataillon Grenadiers für das I. Bataillon des Königs-Regimentes ist zum ersten Mal für den 14.06.1713 nachweisbar.
Der andere Bestandteil der Potsdamer Riesengarde war - wie erwähnt - das ehemalige kronprinzliche Regiment. Es wurde am 10.06.1675 als Regiment Kurprinz in kurbrandenburgische Dienste übernommen und war nach dem Einfall der Schweden in die Mark Brandenburg aus dem aufgrund des Befehles vom 11.11.1674 aufgestellten Landesaufgebot errichtet worden. Es gliederte sich zunächst in 2 Bataillone zu insgesamt 8 Kompanien, die Garnisonen waren 1688 Rathenow, Lenzen, Ruppin, Perleberg, Pritzwalk, Kyritz, Havelberg, Wusterhausen, Gransee, Wittstock, Templin, Tangermünde, Osterburg, Werben, Arneburg, Bismark und Kalbe. Chef des Regiments war 1675 - 1688 Kurprinz Friedrich (später König Friedrich I.), dann ab dem 04.08.1688 Kurprinz Friedrich Wilhelm (später König Friedrich Wilhelm I.). 1685 gab das Regiment 2 Kompanien an das Infanterie-Regiment No.12 ab. Die Stärke des Kurprinzlichen Regiment entwickelte sich im Wandel der Zeit wie folgt: 1675: 1200 Mann, 1683: 1655 Mann, 1688: 1148 Mann, 1683: 1422 Mann. Ab dem 18.01.1701 hieß die Einheit Regiment Kronprinz und zählte in diesem Jahr 1147 Mann. 1702 gab es 2 Kompanien an die holländischen Bataillone ab, 1713 wurde das 3. Bataillon an das Infanterie-Regiment No. 22 abgegeben. Ab dem 25.02.1713 wurde die Einheit zum Königs-Regiment und stand nun in Potsdam und Brandenburg, ab 1733 nur noch in Potsdam. Der Umstand, dass der bisherige König sein ehemaliges Infanterie-Regiment behielt, widersprach der Tradition, da gewöhnlich der neue Thronfolger als Inhaber nachfolgte. Der König konnte sich aber von seinem Regiment nicht trennen und befahl: „Königs Regiment, ist jetztunder mein Regiment“5. Die Potsdamer Riesengarde bestand damit in der Folge zum einen aus dem Rothen Leib-Batatillon Grenadiere, zum anderen aus dem II. und III. Bataillon Königs-Regiment.
Die Roten Grenadiere zählten im Juli 1713: 703 Mann, das übrige Königs Regiment im Juni 1713: 1406 Mann. Im Jahre 1723 umfassten die 5 Kompanien des Leib-Bataillons: 943 Mann, das II. und III. Bataillon: 1657 Mann, dazu kamen noch 173 Unrangierte, zusammen also: 2773 Mann. 1739 betrug der Etat der 18 Kompanien der sogenannten „Potsdamer Riesengarde“ ebenso 2773 Mann, dazu kamen aber 751 Unrangierte, zusammen mithin: 3484 Mann6. Die Verpflegungskosten werden für das Königs-Regiment im Jahre 1723 mit 181364 Thaler zuzüglich 25000 Thaler Kleidergelder angegeben. 1739 sind es 213476 Thaler zuzüglich 36000 Thaler Kleidergelder. Für ein gewöhnliches Infanterie-Regiment betrugen die Verpflegungskosten hingegen nur 72636 Thaler. Die monatliche Berechnung ergibt folgendes Bild: der Verpflegungsetat von No. 6 betrug 24270 Thaler, 16 Groschen, für ein gewöhnliches Infanterie-Regiment wurden monatlich lediglich 6069 Thaler, 11 Groschen, 6 Pfennig veranschlagt7.
Die Finanzierung der exklusiven Einheit erfolgte aber nicht aus dem gewöhnlichen Heeresetat, so hatte der König bestimmt: „Die (2. Bat.) Garde Grenadiers verpflege von meinem Menus plaisier (Anmerkung: kleines Ausgabegeld), weil ich doch in der Welt in nichts plasier finde, alß in einer guten Armee“8.
Kommandeur des Königs-Regiments war zunächst Oberst Dietrich Johann v. d. v. Heyden gen. Rynsch. Heyden war 1681 in kurbrandenburgische Dienste getreten, seit 1682 Fähnrich bei der Leibgarde zu Fuß (No. 1) und stieg in diesem Regiment bis zum Obristlieutenant auf. Am 07.03.1713 wechselte er als Oberst zum damaligen Regiment des Kronprinzen (No. 6). Er verstarb im Jahre 1729 als Generalmajor und Gouverneur von Küstrin. In der Zeit von 1713 bis 1730/31 kommandierte Oberst Georg Volrat v. Kröcher das II. und III. Batatillon von No. 6. Kröcher war bereits seit 1694 bei dieser Einheit, zwischenzeitlich (ab 1709) aber Kapitän und Kompanieinhaber bei No. 12. Ab dem 14.04.1717 wurde er Generaladjutant des Königs, behielt jedoch auch seine Kommandeursstelle. 1731 wurde er Chef des Infanterie-Regiments v. Gersdorff, er verstarb 1742 als General-Lieutenant und Gouverneur von Geldern. Ab 1730 kommandierte der spätere Generalfeldmarschall v. Kleist das Rote Leib-Bataillon Grenadiere, ihm folgte 1735 Oberst v. Einsiedel (verstorben 1745 als General-Lieutenant, zur Person s. w. u.) nach. Das 2. und 3. Bataillon des Königs-Regiments wurde ab 01.11.1730 von Oberst Hans Jürgen Detloff v. Massow (1686, verstorben 1761 als General-Lieutenant, zur Person s. w. u.) und ab 1738 von Oberst Hann v. Weyher kommandiert. Ab dem 01.02.1737 befehligte v. Massow alle 3 Bataillone von No. 6.
Das Regiment ergänzte sich durch Werbung im In- und Ausland und zeichnete sich durch besonders große Soldaten aus. Fabelhafte Werbegelder wurden für groß gewachsene Rekruten bezahlt und Friedrich Wilhelm I. ließ nichts unversucht, um das Maß des Regiments zu verbessern. Carsted berichtet über diese Einheit: „Sein Regiment bestand aus 3 Bataillonen und hieß Königs Regiment und bekam statt der 8. Gr. noch einmahl so viel, nemlich 16. Gr. zu der 5tägigen Löhnung. Es bestand aus ganz außerordentlich großen Leuten, die dazu in der ganzen Welt aufgesucht wurden. Er hat Fürsten und Grafen und Barons und Edelleute unter dasselbe als gemeinde Soldaten gehabt und gehalten, wenn sie außerordentlich groß waren. Unter 6 Fuß war kein Musquetier. Ein italienischer Prinz ließ sich, ohne sich zu erkennen zu geben, auf seinen Reisen von einen preußischen Werber unter diß Regiment anwerben, bloß aus Neubegierde, um in der Einbildung eine große Verwunderung zu erregen, wenn er sich nach einer kurzen Zeit entdecken würde. Aber er fand, daß mehr von großen und hohen Stande hir die Musquete trugen, und daß es so leichte nicht sey, looß zu kommen als er sich vorgestelt. Doch da er sich durch einen Ambassadeur entdeckte, den er selbst, da die Regirung seiner Staaten an ihm gefallen, kommen ließ, so ward er mit Vergnügen erkannt und datum mit Freuden dimittiret, weil er seine Stelle mit verschiedenen großen Leuten, die sein Gesandter überbrachte, ersetzte. Des vormahligen ersten Staatsminsiters, Herrn von Princen jüngsten Herrn Sohn glückte es nicht, loß zu kommen. Solange der König lebte, trug er die Musquete.... Außer den 3 Bataillons hatte er noch eine Baumschule von großen Leuten, diese wurden die Blaukittel genant. Ihre Zahl belief sich über 600, sie waren so gut wie alle in Waffen geübt, trugen aber noch kein Seitengewehr. Aus ihnen wurde der Abgang ersetzt, den die 3 Bataillions durch das Sterben erlitten. Der Herr war nie verdrießlicher, als wenn er die Nachricht bekam, daß ihm ein großer Kerl gestorben. Sie waren von der Leib-Compagnie mehrentheils alle in Lebensgröße gemahlen, und damit war auf dem Podstamer Schloße eine besondre Gallerie besetzt“9.
Beneckendorf ergänzt in seinen „Karakterzügen aus dem Leben König Friedrich Wilhelms I. ...“: Friedrich Wilhelm I. besondere Neigung und Leidenschaft für die Größe der Krieges-Mannschaften hat sich durch das Beyspiel seines Leibregiments, oder der sogenannten Potsdammer Grenadiere ganz vorzüglich offenbahret. Es ward dadurch eines der schönsten Schauspiele aufgestellet, dessen Nachahmung allen andern Potentaten unmöglich geblieben seyn würde, diesen Monarchen aber auch sehr große Summen gekostet hat. Von der Schönheit dieses Corps, die solches nicht bloß durch die Gesichtsbildung seiner Mannschaft, sondern hauptsächlich deren außerordentlichen, und zwar durchgehends gleichen Größen erhielte, ist durch eine bloße Beschreibung sehr schwer ein vollständiger Begriff zu erhalten, wenn man nicht dasselbe mit eignen Augen gesehen hat. An Friedrich Wilhelms I. Leichenbegängnistage zu Potsdam habe ich solches noch einige Stunden vorher, ehe es auf Friedrichs II. Veranlassung vertheilet wurde, und dadurch eine unvermuthete andre Gestalt bekam, zu sehen Gelegenheit gehabt; und ich will dasjenige, so ich mir, unter dem bey dessen Anblik annoch erinnern kann, mit wenigen mittheilen. Dieses Corps hatte eigentlich vier besondre Abtheilungen. Drey davon bildeten die aus drey Bataillonen bestehende alte Mannschaft, die vierte aber war eine Pflanzschule von neueingestellten neuen Rekruten, so den Namen von Unrangirtren oder auch Blaukitteln, weil sie noch nicht eingekleidet waren, sondern einen bloßen blauen leinen Kittel trugen, führten. Das erste und zweyte Bataillon, welche ihre Garnison in Potsdam hatten, folglich fast beständig um den König waren, hatten zwar vor dem dritten, zu deren Standquartier die Stadt Brandenburg bestimmt war, in Ansehung der Größe sowohl, als auch Schönheit derer Leute, einen merklichen Vorzug; inzwischen trug doch auch das letzte, wenn sie beysammen waren zu der Vollkommenheit des Ganzen sehr viel bey. Die größesten und ansehnlichsten Leute, die der Monarch bey der Rekrutirung dieses Regiments bekam, wurden hauptsächlich dem ersten und zweyten Bataillon, vorzüglich aber dem ersten, einverleibet. So ansehnlich auch diese drey Bataillone waren, so wurden sie doch durch die, zur Ersetzung der in demselben abgehenden Mannschaft, jederzeit aufbehaltenen ansehnlichen Menge von Rekruten oder Unrangirten sehr weit übertroffen. Nicht allein in Ansehnung ihrer Jugend, sondern auch ihrer Größe und Schönheit zeichneten sich dieselben besonders aus, und sie verlohren durch die ihnen noch fehlende Uniform nichts. Dieses Corps der Unrangirten belief sich ebenfals auf vier bis fünfhundert Mann; sie wurden auch eben so, wie die alten Bataillone, täglich excerciret, und in den Waffen geübet. Den ersten Stamm von diesem so seltenen Regiment zu gründen, hat sonder Zweifel Friedrich Wilhelm I. die meiste Mühe gekostet; indem seine eigene Länder dazu nicht hinreichend waren, sondern Er solche beynahe in allen Welttheilen aufsuchen lassen muste“10.
Friedrich Wilhelm I. erhielt vom Zaren Peter des Großen mehrfach russische Soldaten (sogenannte Moscowiter) als Geschenk, laut den überlieferten Bekleidungsrechnungen bereits im Jahre 171311. 1739 trafen 11 große Türken in Potsdam ein
Zusätzlich ergänzte sich die Einheit aus Abgaben der übrigen Feldregimenter. Die Regimentschefs bzw. - kommandeure und die Kompanieinhaber sollten beim Werbegschäft auch besonders große Leute mit Blick auf die spätere Überweisung der Rekruten an die „Potsdamer Riesengarde“ verpflichten. In der Ordre vom 13.09.1732 heißt es hierzu: „Die Chefs und Commandeurs derer Regimenter, wie auch die Capitaines sollen alle Mühe anwenden und dafür sorgen, alle Jahre schöne Leute anzwerben von 6 Fuß und darüber, welche unter Se. Königl. Majestät Regiment kommen können, und sollen sie dabei nicht sparen, weilen Se. Königl. Majestät ihnen dafür Alles, was sie an Handgeld und andern Unkosten zukommen, richtig bezahlen lassen wollen. Dahero die Stabs Officiers und Capitains nichts anders als den Vorschuß brauchen; weilen aber dieser Vorschuß öfters groß ist, da ein Kerl 600, 700 und mehr Rthlr. kostet, so soll dieses Geld, sobald der Kerl angeworben, und der Capitain die Rechnung eingegeben, aus der Kleider Kasse vorgeschossen werden und bleibt der Kerl bei der Compagnie des Officiers, so ihn angeworben. Dahero dieses den Capitaines an ihrer eigenen Werbung nicht hinderlich sein kann, weil ein Capitain, wenn er einen 6 füßigen Kerl angeworben, solches Geld mit allen Unkosten sofort aus der Kleider Kasse als einen Vorschuß bekömmt, und solches gleich wieder zur Anwerbung anderer Leute vor seine Compagnie emploiren kann. Aber sobald Se. Königl. Majestät, solchen großen Kerl an Dero Regiment wegnehmen und ihn wieder bezahlen, so muß das Geld gleich wieder in die Kleider Kasse geleget werden, wofür der Chef und Commandeur des Regiments repondiren soll“12. Gleichzeitig versicherte der König den Stabsoffizieren und Kapitäns, „welche sich durch große Leute von 6 Fuß und darüber distinguiren werden, daß sie Ihnen bey aller Gelegenheit Dero Königliche Gnade wirklich angedeihen lassen wollen“. König überliefert aus dem Jahre 1731 eine „Liste derjenigen Leute, so von Ihro Majestät im Lager zu Wehlau von denen Regimentern genommen, und was sie an Handgeld empfangen“ . Die Aufstellung beinhaltet 63 (von 11 Regimentern) für No. 6 ausgewählte Soldaten, deren Handgeld zwischen 1 und 1000 Rthl. schwankt. Die vom König eigenhändig eingesetzten zu erstattenden Beträgen lagen zumeist deutlich über diesen Ansätzen. Für 3 im Jahre 1737 von Friedrich Wilhelm I. für No. 6 von anderen Einheiten übernommenen Rekruten errechneten sich an Handgeld, Transport- und sonstigen Kosten insgesamt 9633 Rthl., 8 Groschen, darunter 1500 Rhtl. an ein Kloster „wegen Abkaufung seiner (des Rekruten) Unterthänigkeit, weilen Selbiges den Recruten ohne dieses nicht hat wollen verabfolgen lassen“. In einem kgl. Schreiben vom 25.07.1738 an General-Major Graf v. Dohna heißt es: „Mein lieber General-Major Graf v. Dohna! Da Ich Eurem Regimente die bei der Revue mitgenommene Recrüten, sobald ich nach Berlin komme, bezahlen lassen werde: So befehle Ich, daß Ihr inzwischen alle Veranstaltung machen sollet, damit die Capitains in der von mir genommenen Leuthe Stelle, eben so gute und noch bessere Recrüten wieder anwerben..“ und ergänzt: „Insonderheit müssen die schlechtesten Compagnien sich sehr verbessern, desgleichen in den Grenadier-Compagnien, in deren Stelle, welche nicht 6 Zoll messen bessere angeschaft werden. Sonsten befehle Ich Euch, daß Euer Regiment keinen Franzosen anwerben soll, es sey denn, daß dergleichen Kerl wirklich 10 Zoll hatte. Was aber unter 10 Zoll misset, soll, wann es ein Franzose ist, nicht angeworben werden“. Es handelte sich um 20 Soldaten für zusammen 12664 Rthl.13. Für einzelne - besonders große - Rekruten wurden zu deren Anwerbung enorme Summen verausgabt. Ein Schreiben des preußischen Gesandten in Großbritannien an den König vom 10.03.1734 informiert über die näheren Umstände eines solchen Falles: „Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster König! Allergnädigster König und Herr! Ich lebe der festen Zuversicht, daß der von hier abgehende Kerl, Nahmens James Kirckland, ein Irrländer von Geburt, und seines Alters 20 jahre, den der Bassiste Korrowsky überbringet, glücklich ankommen, und Euer Königlichen Majestät Allergnädigste Approbation finden werde...“.
Die besondere Beziehung Friedrich Wilhelms I. zu seinen „langen Kerls“ wird auch durch folgende Ausführungen in dem Testament vom 01.07.1714 deutlich: „Das Bataillon der rothen Grenadiere, welche Unser Vergnügen mit gewesen, soll Unsere herzlich geliebte Gemahlin bey dem jetzigen großen Tractament und auf eben diesen Fuß wie Wir sie gesetzet solange lassen, bis Unser Sohn des Kron- und Churprinzen Liebden dereins mündig sein werde, welcher selbiges alsdann zu Unserm Andenken und Uns zur Liebe noch ferner also lassen und beibehalten werde. Und da Wir wol erwogen, daß dieses Bataillon in solcher erlesenen Mannschaft, wie Selbiges anitzo ist, zu unterhalten überaus schwer, so wollen Wir, daß zu dessen Recrutierung Unsere ganze Armee contributire, tragen desfals specialiter Unserm Generallieutenant Grafen von Finkenstein und Unserm Generalmajor dem von Borck hiermit die Vollmacht auf und binden denen selben auf Ihren Eid und Gewissen, daß Sie aus allen Unsern Regimentern, Dragonern, Reutern und Infanterie die größesten und die so der Probe gemäß aussuchen, die Ihnen dann aucgh unweigerlich zu Unterhaltung dieses Bataillons schöner Mannschaft abgefolgert werden müssen ...“ 14. Verstarben Angehörige der Gardeinheit, ging dies dem König zeitgenössischen Berichten zufolge sehr nahe: „ Bey jetziger 12tägigen anwesenheit des Königs zu Potsdam ist abermahl einer der großen Grenadier gestorben; bey deßen Beerdigung der König in der Nähe gestanden und die Ceremonien angesehen, auch selbst zum Salveschießen commendiret, man will gar versichern, daß Er der Leiche gefolget“15.
Die Angehörigen der Potsdamer Riesengarde waren nicht nur durch besondere Uniformmerkmale und höhere Besoldung bzw. Zulagen ausgezeichnet, ihnen standen auch eine Reihe von Privilegien zu, z. B. Gewerbefreiheit in der Stadt Potsdam. So durften sie in Potsdam einem Gewerbe nachgehen, Schankwirtschaften, Bier- und Weinhäuser unterhalten, Hökerei und Handel mit Lebensmitteln, Material- und Italienerwaren betreiben16. Der Genuß und der Vertrieb von Alkohol wurde aber aus disziplinarischen Gründen verboten: „Es wird auch ernstlich befohlen, daß ein jeder Capitain in seinem Revier fleißig acht haben soll, daß weder bey denen Bürgern noch Grenadierern kein Brandtwein geschenket wird, und soll denen Bürgern angesaget werden, daß wann bey einem Brandtwein gefunden wird, soll er das 1ste mahl nach Spandow in die Karre, und die Frau ins Spinnhauß gebracht werden, das 2te mahl mit Staupbesen und Brandtmarck bestraffet werden, und das 3te mahl soll er am galgen gehangen werden. Die Capitains sollen auch auf denen Paraden die Bursche sich anhauchen lassen, und so einer gefunden wird, der Brandtwein getruncken, soll er scharff angehalten werden und melden, wo er den Brandtwein bekommen. Der Grenadier bey welchen Brandtwein gefunden wird, soll mit Spießruthen bestraffet und seine Frau ins Spinnhauß gebrachtwerden“ (kgl. Befehl vom 08.02.1738)17. Ein besonderes Problem folgte aus der Übernahme von Eingaben der Bürger durch die Grenadiere und Weitergabe der Bittschriften durch die Gardisten an den König. Diese übergaben die Eingaben dem König im Lustgarten oder auf dem Weg zur Wachtparade und konnten häufig auf Sympathien Friedrich Wilhelms I. rechnen. Diese Dienste ließen sich die Grenadiere vom Bittsteller bezahlen. Da dieses Phänomen im Laufe der Zeit ausuferte, erhielt Adam v. Weyher am 27.09.1731 folgenden Befehl: „Ihr sollet bey der Parole publiciren, daß wenn ein Unterofficier oder Grenadier sich untersteht ein Memorial anzunehmen und zu übergeben, daß Ihn Selbst nichts angehet, es sey von Christen oder von Juden, derselbe 30 mahl durch 200 Mann die Gaße lauffen soll, weil Ich dergleichen Procuriren durchaus nicht mehr gestatten will und derjenige, so an einen Unterofficier oder Grenadier ein Memorial giebet, es sey Procurator und Advocat, oder den die Sache Selbst angehet, Er mag vornehmen oder geringen Standes seyn, soll auf Lebens-Zeit nach Spandow in die Karre gebracht werden....“18. Da Friedrich der Große das Verbot am 02.05.1740 wiederholen musste, scheinen die diesbezüglichen Maßnahmen unter dem Soldatenkönig wenig gefruchtet zu haben.
Trotz der zahlreichen Vergünstigungen berichten zeitgenössische Quellen immer wieder von Unmutsäußerungen der Grenadiere, die sich teilweise in Verschwörungen, in Exzessen oder Desertionen artikulierte.
Nach dem Regierungswechsel im Jahre 1740 wurde das Regiment aufgelöst, Reste blieben aber zur Wahrung der Tradition als Garde-Grenadier-Bataillon bestehen. Laut Kabinettsnotifikation vom 07.02.1743 wurde die Einheit Einsiedelsches Grenadierbataillon oder Einsiedelsches Bataillon Grenadier-Garde und dann - bis 1801 - nach seinem jeweiligen Chef genannt19. Das Grenadier-Garde-Bataillon wurde durch Kapitulation von Erfurt und Prenzlau vom 16.10. bzw. 28.10.1806 aufgelöst, Reste (insbesondere Ranzionierte) bildeten den Stamm und das Depot für die neue Garde und schließlich mit Überbleibseln von No. 15 das 1. Garde-Regiment zu Fuß.
Anlage I - Schneider, Die Potsdamer Bettgelder, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Potsdams, 1867, S. 373.
Fußnoten:
- 1. Max Jähns, Das Kriegswesen unter König Friedrich I., in Hohenzollerjahrbuch 1900, S. 168.
- 2. Hinrichs, Der Regierungsantritt Friedrich Wilhelms I., a. a. O., S. 193.
- 3. Berliner geschriebene Zeitungen 1713-17, 35, S. 516/ 517.
- 4. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I., a. a. O., S. 344/ 345, vgl. hierzu auch: Küster, Ueber die jugendliche Jagdgarde König Friedrich Wilhelms I. als Ursprung der Verschönerung der preußischen Armee, in: Offiziers-Lesebuch, Bd. 2, S. 59 ff..
- 5. Hinrichs, Der Regierungsantritt Friedrich Wilhelms I., a. a. O., S. 194.
- 6. Haeckel, Julius, Die Potsdamer Riesengarde, Potsdam 1913, S. 92.
- 7. Ciriacy, F. v., Chronolgische Übersicht der Geschichte des Preußischen Heeres dessen Stärke, Verfassung und Kriege seit dem letzten Kurfürsten von Brandenburg bis auf die jetzigen Zeiten mit vielen erläuternden Zusätzen, Berlin und Posen 1820, S. 303 ff., siehe auch: Haeckel, Die Potsdamer Riesengarde, a. a. O., S. 92.
- 8. Zitiert nach Julius Haeckel, Die Potsdamer Riesengarde, S. 32, siehe auch Hinrichs, Der Regierungsantritt Friedrich Wilhelms I., a. a. O., S. 193/ 194.
- 9. Carsted, Atzendorfer Chronik, S. 201 ff.
- 10. Beneckendorf, Karakterzüge aus dem Leben König Freidrich Wilhelm I. nebst verschiedenen Anecdoten ..., 1787, Nachdruck Wiesbaden 1982, S. 38 ff.
- 11. Haeckel, Die Potsdamer Riesengarde, a. a. O., S. 31.
- 12. Becher, a. a. O., Anhang, S. 119.
- 13. König, S. 32.
- 14. Zitiert nach Haeckel, a. a. O., S. 41 ff.
- 15. 14.04.1714, Berliner geschriebene Zeitungen 1713-17, 35, S. 110.
- 16. Haeckel, Die Potsdamer Riesengarde, a. a. O., S. 67.
- 17. Mitteilungen Potsdam, a. a. O., 1867, S. 263/ 264.
- 18. Priesdorff, Soldatisches Führertum, a. a. O., Bd. 1, S. 204.
- 19. Jany, Geschichte, a. a. O., Bd. 2, S. 4 ff.