Eine kleine Geschichte der Kaiserlichen Marine - 1. Teil

Vorgeschichte der kaiserlichen Marine

Die deutsche Flotte hat eine relativ junge Geschichte, vor 1848 war sie im Grunde nicht existent1. Es mangelte an einer zentralen Gewalt, wie z. B. in Großbritannien und Frankreich. In Preußen begann man in den 40iger Jahren mit dem zögerlichen Aufbau einer Flotte. Das eigentlich erste Kapitel der deutschen Reichsflotte begann aber im Jahre 18482. Angestoßen durch die Hanseaten und vor dem Hintergrund der Unabhängigkeitsbestrebungen in Schleswig-Holstein beschloss die Frankfurter Nationalversammlung die Gründung der deutschen Reichskriegsflotte und stellte die entsprechenden Geldmittel bereit. Doch analog zum politischen Schicksal der Nationalversammlung wurde die kleine Flotte (soeben ausgerüstet und bewaffnet) im Jahre 1852 (Beschluss des deutschen Bundestages vom 01.04.1852) wieder aufgelöst und die Schiffe verkauft. Der Schiffsbestand betrug zu diesem Zeitpunkt 11 Schiffe und 27 kleine Fahrzeuge. Einige Schiffe wurden von Preußen übernommen. Dieses verstärkte nun seine maritimen Anstrengungen und kaufte 1853 das Jadegebiet. Hier sollte der Kriegshafen Wilhelmshaven entstehen. Gleichzeitig wurde die Admiralität als zentrale und selbständige Kommando- Verwaltungsbehörde geschaffen (AKO vom 14.11.1853). Schon vorher war beim preußischen Kriegsministerium eine Marine-Abteilung entstanden. Als erster preußischer Offizier erhielt Prinz Adalbert den Rang eines Admirals der preußischen Küsten. Bereits 1852 hatte die preußische Marine ein Geschwader nach Südamerika entsandt. 1859 trat ein Geschwader eine wirtschaftspolitisch motivierte Reise nach Japan, China und Siam an. 1860 sank in einem Taifun die SMS Frauenlob mit der gesamten Besatzung vor der japanischen Küste. Ein schlimmer Verlust bedeutete auch der Untergang der SMS Amazone am 21.06.1861 in der südlichen Nordsee. Mit dem Schiff und der Besatzung gingen auch sämtliche eingeschifften Seekadetten unter. 1864 kam es im deutsch-dänischen Krieg zu kleineren Gefechten mit der dänischen Flotte.

Deutsche Kriegsschiffe in der kaiserlichen Werft in Wilhemshaven im Jahre 1875. Fotogra:f: C. J. Frankforth/ Wilhelmshaven.

Die Norddeutsche Bundesmarine

Die preußische Flotte wurde 1867 zum Kern der Norddeutschen Bundesmarine3. In diesem Jahr wurde auch der Ausbau der Flotte auf 10 Panzerschiffe, 20 Kreuzerfregatten/ - korvetten, 8 Avisos und 22 Dampfkanonenboote innerhalb eines Zeitraums von 10 Jahren beschlossen. Nach dem siegreichen Feldzug gegen Frankreich und der Reichsgründung im Jahre 1871 wurde aus der Norddeutschen Bundesmarine die Kaiserliche Marine. In Art. 53 der Reichsverfassung von 1871 hieß es: „Die Kriegsmarine des Reichs ist eine einheitliche unter dem Oberbefehl des Kaisers. Die Organisation und Zusammensetzung derselben liegt dem Kaiser ob, welcher die Offiziere und Beamten der Marine ernennt, und für welchen dieselben nebst den Mannschaften eidlich in Pflicht zu nehmen sind. Der Kieler Hafen und der Jadehafen sind Reichskriegshäfen. Der zur Gründung und Erhaltung der Kriegsflotte und der damit zusammenhängenden Anstalten erforderliche Aufwand wurde aus der Reichskasse bestritten. Die gesamte seemännische Bevölkerung des Reichs, einschließlich des Maschinenpersonals und der Schiffshandwerker ist vom Dienste im Landheere befreit, dagegen zum Dienst in der Kaiserlichen Marine verpflichtet“.

Foto der SMS Wittelsbach im Jahre 1909. Fotograf: W. Schäfer/ Kiel. Das Schiff wurde am 15.10.1902 in Dienst gestellt und war bis zum Jahre 1916 in der Flotte im Einsatz. Die SMS Wittelsbach war ab 1903 das Flaggschiff zunächst des 1. Geschwaders, später des IV. Geschwaders und wurde vor allem in der Ostsee und erst später in der Nordsee eingesetzt. Ab dem 01. 02.1916 wurde die SMS Wittelsbach als Rekruten-Exerzierschiff in Kiel benutzt, allerdings dann am 24. 08.1916 außer Dienst gestellt. Ab 1917 lag das Schiff in Wilhelmshaven.
Erinnerungsfoto an den Dienst bei der kaiserlichen Marine auf der SMS Wittelsbach 1904 - 07. Originale Fotokarte: gelaufen am 27.08.1906.

Chef der kaiserlichen Marine war (seit 1888) Wilhelm II. Er wurde durch einen Bundesausschuss für das Seewesen unterstützt, dessen Vorsitzender der Staatssekretär des Reichs-Marine-Amts war. Chef des Marine-Kabinetts (Berlin) war 1913 Admiral Müller. Bei den auswärtigen Missionen (Botschaften/ Gesandtschaften) befanden sich Marine-Attachés. Das Reichs-Marine-Amt als oberste Verwaltungsbehörde war in Berlin platziert und wurde vom Staatssekretär Großadmiral v. Tirpitz geleitet. Es gliederte sich in verschiedene Abteilungen bzw. Departements mit unterschiedlichen Zuständigkeiten. Dem Admiralsstab stand als Chef Admiral v. Pohl vor.

Vorstoß des I., III. und IV. Geschwaders. Originale offizielle Fotokarte vor 1914.

Für die einzelnen Bereiche der Marine gab es – wie beim Landheer – Inspektionen als Verwaltungs- und Kontrollstanzen. Die Marine selbst wurde nach Stationsbezirken eingeteilt, nämlich in die    Marinestation der Ostsee (Kiel) und der Nordsee (Wilhelmshaven). Auf die beiden Marinestationen verteilten sich die verschiedenen Marineteile.: Matrosen-, Werft-, Torpedodivisionen, Matrosenartillerieabteilungen, Marineinfanterie, Unterseeboots-Abteilungen, Depots und Werften, Befestigungen, technische Institute, verschiedene Behörden, Schiffe usw. Die Hochseeflotte gliederte sich unter dem Chef Admiral von Ingenohl (Stand 1913) in die Geschwader I – III, sowie die Aufklärungsschiffe unter Kontreadmiral Hipper. Der kaiserlichen Marine unterstand auch die Ostasiatische Besatzungsbrigade im Schutzgebiet Kiautschou unter dem Gouverneur Kapitän z. See Meyer-Waldeck.

Personal der Marine und Schutztruppen um 1890. Originale Tuschzeichnung von Fritz Birkmeyer (1848 - 1897).

Etatsstärke der kaiserlichen Marine im Jahre 1903/04

Die Etatstärke der kaiserlichen   Marine betrug im Rechnungsjahr 1903/04:

 

Etatstärke der kaiserlichen Marine im Rechnungsjahr 1903/044

Marineteile/ Behörden

Offiziere

Ärzte

Mannschaften

Summe

 

 

 

Deck-

Unteroffiziere

Gemeine

Schiffsjungen

 

Seeoffiziere5

1169

 

 

 

 

 

1169

Seeoffizieraspiranten

 

 

 

433

150

 

583

Marine-Ing.6

207

 

 

 

 

 

207

Matrosen-Divisionen und Schiffsjungen-Divisionen

 

 

223

2161

11292

1100

14776

a) Werftdivsionen - Maschinenpersonal

 

 

667

2280

4971

791

8709

b) Werftdivisionen – sonstiges Personal

 

 

94

696

1172

 

9880

a) Torpedoabtlg. – seemännisches Personal

 

 

47

347

1422

 

1816

b) Torpedoabtlg. – Maschinenpersonal

 

 

185

590

1374

 

2149

Matrosenartillerie

 

 

29

249

2109

 

2387

Marineinfanterie

46

 

 

191

1038

 

1275

Mannschaften der Bekleidungsämter

 

 

24

200

 

 

224

Sanitätspersonal

 

186

 

142

138

 

466

Personal der Artillerieverwaltung

64

 

86

49

 

 

199

Personal des Torpedowesens

34

 

86

41

 

 

161

Personal des Minenwesens

16

 

25

39

 

 

80

Zahlmeisteraspiranten und Applikanten

 

 

67

180

40

 

287

Personal des Vermessungswesens und der Küstenbezirksämter

 

 

26

 

 

 

26

Summe

1536

186

1535

7422

23906

1100

 

insgesamt

1722

 

33963

35685


Die Offiziere der SMS Charlotte im Jahre 1901. In der Mitte der hinteren Reihe der Seelsorger an Bord. Die SMS Charlotte war eine Kreuzerkorvette der kaiserlichen Marine und deren letztes Segelschiff. Die Namensgebung bezog sich auf Charlotte, Prinzessin von Preußen (1860-1919), die ältere Schwester Kaiser Wilhelms II. und Gemahlin des Herzogs Bernhard von Sachsen-Meiningen.
An Bord des Schulschiffes SMS Charlotte. Fotograf: A. Blomberg/ Stockholm. 1901. Der Stapellauf der SMS Charlotte erfolgte am 05.09.1885 in Wilhelmshaven. Deren Länge betrug 77 m und deren Breite 15 m. Mit einer Wasserverdrängung von 3290 Tonnen erreichte das Schiff eine maximale Geschwindigkeit von 13 Seemeilen. Die Bewaffnung bestand aus 12 Kanonen mit einem Kaliber 15 cm und 2 Schnellfeuerkanonen mit einem Kaliber 8,8 cm. Bereits im Jahre 1914 wurde die SMS Charlotte außer Dienst gestellt und dann nur noch als Hulk genutzt und 1921 abgewrackt.
Ausbildung auf der SMS Charlotte. Fotograf: A. Blomberg/ Stockholm. 1901. Die Besatzung bestand aus ca. 480 Mann.

Voraussetzungen und Werdegangs eines Seeoffiziers

Wer Seeoffizier werden wollte, musste zunächst seine persönliche und wissenschaftliche Geeignetheit nachweisen. Bei entsprechendem Bedarf konnte er seine militärische Laufbahn als Kadett beginnen. Nach Vereidigung diente der Aspirant als Gemeiner auf einem Kadetten-Schulschiff und erhielt hier die erste militärische Grundausbildung. Es folgte der Besuch der Marineschule an der Flensburger Förde. Hier erfolgte die Vorbereitung auf die Prüfung  der Seekadetten. Nach bestandener Prüfung folgte die in der Regel zweijährige Kommandierung auf ein Schulschiff für Seekadetten.

Seekadetten bei der infanteristischen Ausbildung an Land. Die Ausbilder sind Seesoldaten aus einem Seebataillon. Foto um 1900.

Zur Seeoffiziersberufsprüfung

Nach Rückkehr war die erste Seeoffiziersprüfung zu bestehen. Erst nach Wahl durch das Korps der Seeoffiziere wurde der Seekadett zum Unterlieutenant zur See unter dem Vorbehalt der Patentierung ernannt. Nach praktischem Dienst im Sommer folgte ab Herbst nochmals ein etwa einjähriger Kursus (11 Monate) an der Marineschule. Dieser beinhaltete die weitere theoretische Vorbereitung auf die Seeoffiziersberufsprüfung. Nach bestandener Prüfung konnte die Verleihung des Patentes Allerhöchsten Ortes erbeten werden.

Fähnrich z. S. im blauen Zeug.
Das Foto zeigt die Brüder - links - Fähnrich zur See Lothar von Arnauld de la Perière (* 18.03.1886 in Posen, + 24.02.1941, Flugzeugabsturz in Frankreich) und - rechts - Seekadett Friedrich von Arnauld de la Perière (* 17.06.1888 in Breslau, + 12.10.1969 in Friedrichshafen). Originales Kabinettfoto. Georg Billström/ Kiel. 1905.
Ingenieur-Applikant im blauen Zeug. Gut zu sehen ist der Dolch für Aplikanten. Er hatte in der Regel eine blanke - etwa 2.2 cm breite und 31.7 cm - lange Keilklinge und ein Messinggefäß. Das Stichblatt zeigte einen Anker und darüber die Kaiserkrone. Die Lederscheide hatte Messingbeschläge.
Fähnrich z. See im Überzieher mit dem Säbel der Marineoffziere. Fotograf: Carl Färber/ Altona. 1905.

Marineakademie und Bildungsniveau im Seeoffizierkorps

Die Marineakademie befand sich wie die Seekadettenannahmekommission in Kiel, die Marineschule war in Flensburg-Mürwik und die Ingenieur- und Deckoffizierschulen in Kiel und Wilhelmshaven7. Die Bildungsqualifikationen hatten im Seeoffizierkorps als Selektionskriterien einen besonders hohen Stellenwert, in der Folge war dessen Bildungsniveau ungleich höher als beim Landheer. So betrug der Anteil der Seekadetten mit Abitur zwischen 1890-94: 45,4 %, zwischen 1895-99: 47,3 %, zwischen 1900-04: 59,0 % und zwischen 1905-06: 76,7 %8.

De Dienstgrade der verschiedenen Laufbahnen der Offiziere waren wie folgt:

Seeoffiziere

Marine-Ingenieure

Sanitätsoffiziere

Leutnant z.S.

Marine-Ingenieur

Marine-Assistenzarzt

Oberleutnant z.S.

Marine-Oberingenieur

Marine-Oberassistenzarzt

Kapitänleutnant

Marine-Stabsingenieur

Marine-Stabsarzt

Korvettenkapitän

Marine-Oberstabsingenieur

Marine-Oberstabsarzt

Fregattenkapitän

Marine-Chefingenieur

Marine-Generaloberarzt

Kapitän z. S.

Marine-Oberchefingenieur

Marine-Generalarzt

Viziadmiral als Festungskommandant auf Helgoland im Jackett. Fotograf: A. B. Kauffmann/Berlin/ Helgoland.
Seeoffizier in großer Uniform. Fotograf: Billström/ Kiel.
Seeoffizier in kleiner Uniform. Fotograf: Franke und Kärcher/ Frankfurt a. M. 1899.

Das Sanitätskorps der Marine

Das Sanitätskorps der Marine wurde durch die aktiven Ärzte und diejenigen des Beurlaubtenstandes sowie dem Personal der Lazarettgehilfen und der militärischen Krankenwärter gebildet. Es zerfiel in folgende Chargen:

Dienstgrade im Sanitätskorps

General-Stabs-Arzt der Armee im Range eines General-Majors

Assistenz-Arzt I. Klasse im Range eines Prem.-Lieutenants

General-Arzt I. Klasse Im Range eines Obersten

Assistenz-Arzt II. Klasse im Range eines Sec.-Lieutenants

General-Arzt II. Klasse im Range eines Oberstlieutenants

Unterarzt im Range eines Portepée-Unteroffiziers

Ober-Stabs-Arzt I. Klasse im Range eines Majors

Einjährig-freiwilliger Arzt im Range eines Portepée-Unteroffiziers

Ober-Stabs-Arzt II. Klasse im Range eines Hauptmanns

Stabs-Arzt im Range eines Hauptmanns

Einjährig-Freiwlliger Arzt im Tagesanzug. Fotograf: M. Exner/ Kiel.
Assistenz-Arzt im Tagesanzug (Mütze fehlt). Fotograf: Julius Thomsen/ Sonderburg.

Zusammensetzung der Mannschaften

Zu den Mannschaften der Marine zählten folgende Chargen: Ober-Deckoffiziere, Deckoffiziere, Feldwebel bzw. Wachtmeister, Vizefeldwebel, Seekadetten, Vize-Seekadetten, Unter-Ärzte, Einjährig-freiwillige Ärzte, Ober-Maate, Maate und Gemeine.

Das Deck- und Unteroffizierkorps.

In der Hierarchie folgten den Seeoffizieren die Deck- und Unteroffiziere. Deckoffiziere erhielten keine Löhnung, sondern waren Gehaltsempfänger. Für ihre Pensionierung bzw. Versorgung wurden auch die für die Offiziere maßgeblichen Vorschriften angewandt.

Beim Torpedomechaniker-, Torpeder-, Feuerwerks- und Zeugpersonals gab es Deckoffizier- und Unteroffizierlaufbahnen, die auch zu einer Offizierlaufbahn führen konnten. Andere Laufbahnen endeten mit der Stellung als Obermaat, als Feldwebel oder Deckoffizier. Voraussetzungen für jegliche Beförderung waren neben guter praktischer Qualifikation und guter Führung meist auch eine bestimmte Seefahrtzeit nebst dem Bestehen einer Prüfung.

Die Bootsmanns-, die Signalmeister- und Steuermanns-, die Stückmeister-, die Feuerwerkmeister-, die Maschinisten-, die Meister-, die Materialienverwalterlaufbahn führten ebenso zur Stellung eines Deck- und Oberdeckoffiziers. Die Unteroffiziere der übrigen Branchen konnten allenfalls Vize- oder Feldwebel werden9.       

 Die Dienstgrade der Marineingenieur-Anwärter und die allgemeinen Marine-Dienstgrade waren wie folgt:

Dienstgrade der Marineingenieur-Anwärter (seit 1903)

Allgemeine Marine-Dienstgrade

Ingenieur-Anwärter

Matrose

Ingenieur-Oberanwärter

Obermatrose

Ingenieur-Applikant

Maat

Ingenieur-Oberapplikant

Obermaat

Ingenieur-Aspirant

Deckoffizier

Ingenieur-Oberaspirant

Oberdeckoffizier

 

Deckoffizier im Tagesanzug mit Sommermütze. Fotograf: Anton Busch/ Kiel.
Deckoffizier im weißen Anzug. Sze-Yuen Ming/ Shanghai. 1900.
Studioaufnahme von Deckoffizieren teilweise im Jackett und im Mantel. Fotokarte. Wangeroog, gelaufen am 04.11.1914.

Leben an Bord

Das Leben an Bord der Kriegsschiffe folgte einer in allen Flotten ähnlichen Tradition, der so genannten Routine bzw. Seeroutine10. Der Tagesablauf und die verschiedenen Verrichtungen waren genau festgelegt, wobei der Tag zumeist um 5.00 Uhr mit dem Weckruf des Bootsmannes begann und um 21.00 Uhr mit dem Zapfenstreich endete. Auf See entfiel der Zapfenstreich, da nun die jeweilige Schiffsbesatzung in Wachen aufgeteilt ihren Dienst verrichtete. Man unterschied Tages- und Wochenroutinen, Hafen- und Seeroutine, Arbeits- und Tropenroutinen. Für die verschiedenen Dienstverrichtungen gab es ferner so genannte Rollen. Jeder Angehörige der Schiffsbesatzung erhielt eine Schiffsnummer, die ihm für alle in Frage kommenden Pflichten seine jeweilige Aufgabe und Platz zuwies. Die Mannschaften mit ungerader Schiffsnummer gehörten zur Steuerbord-, die mit gerader Schiffsnummer  zur Backbordwache. Die wachen waren in Korporalschaften eingeteilt. Besatzungen von Schiffen, die keine Takelage hatten, wurden in Divisionen eingeteilt. Es gab verschiedene Pläne zur Verteilung der Mannschaften bei verschiedenen Aufgaben (Rollen), insbesondere Klarschiffs- oder Gefechts-, Verschluss-, Berge-, Feuer-, Manöverrolle usw. Für jede Rolle war ein bestimmtes Signal vorgesehen. Diese erfolgten mit Trommel und Horn oder nur mit Trommel. Aus der so genannten Stationstabelle konnte jedes Besatzungsmitglied seine Schiffsnummer, Wachhälfte, Quartier, Division, Korporalschaft, Geschütz, Back-Platz für Gewehr, Kleidersack, Hängematte usw. ersehen, symptomatisch für den strengen Dienst an Bord. Die Klarschiff-Rolle enthielt die Verteilung der Mannschaft in alle Arbeiten, die welche dazu gehören, um das Schiff gefechtsbereit zu machen. Die Verschluss-Rolle sollte bei entstandenem Leck im Schiff und bei Gefahr ein schnelles Schließen aller wasserdichten Türen ermöglichen. Sie enthielt ferner die Verteilung der Mannschaft an den Pumpen. Die Feuer-Rolle enthielt die Verteilung der Mannschaft an die Feuerlösch-Vorrichtungen bei Ausbruch eines Feuers. Die Boots-Rolle verteilte die Mannschaft auf die mitgeführten Boote. Die Backs-Rolle war ein Verzeichnung der Mannschaften verteilt auf ihre Backen. Die Verteilung erfolgte mit Nummern und zwar von vorn anfangend. Die der Steuerbordseite hatten ungerade und die der Backbordseite gerade Nummer. Der so genannte Backälteste war während des Aufenthaltes in der Back für alle Angelegenheiten Vorgesetzter der Backsmannschaft. Die Berge-Rolle wies - wie die Boots-Rolle - jedem Mann seinen Platz in einem der Boote an, falls das Schiff evakuiert werden musste11

Auszug aus dem Handbuch zur Instruktion des technischen Personals der kaiserlichen Marine, Kiel, Leipzig und Tsingtau 1905, S. 86 ff.

Schiffsjungen am 8,8 cm Schnellfeuergeschütz unter kaiserlicher Aufsicht auf dem Schulschiff SMS Hansa. Offizielles Foto. 1911. Die SMS Hansa war eine Panzerkorvette, die von 1878 bis 1880 Auslandsdienst in Lateinamerika absolvierte. Der Bau der SMS Hansa wurde Anfang des Jahres 1875 beendet und das Schiff gehörte zunächst zum Panzerkreuzer-Übungsgeschwader. Am 08.11.1880 wurde die SMS Hansa in Kiel außer Dienst gestellt und dann zunächst als Wachschiff eingesetzt und als Maschinisten- und Heizer-Schulschiff und später nur noch als Hulk bzw. Wohnschiff genutzt.
Ruhepause an Deck der SMS Gneisenau. Originales Foto um 1910.

Zur Löhnungssituation

Das Jahresgehalt bzw. die Jahreslöhnung betrug bei den Oberdeckoffizieren: 2142 Mark, bei den Deckoffizieren: 1692 Mark, bei den Unteroffizieren Portepee: 828 Mark (Feldwebel) bzw. 7290 Mark (Vizefeldwebel), bei den Unteroffizieren ohne Portepee: 720 Mark (Obermaate) bzw. 540 Mark (Maat). Die Gemeinen erhielten als Obermatrose: 288 Mark bzw. als Gemeiner: 234 Mark und die Schiffsjungen: 234 Mark (Schiffsjungenunteroffizier) bzw. 144 Mark (Schiffsjunge). In der Löhnung für die Unteroffiziere und Gemeinen war auch das Kleidergeld (108 Mark) enthalten, welches nicht ausgezahlt, sondern einbehalten wurde.. An Land wurden Verpflegungszuschüsse gezahlt. An Bord wurde die volle Löhnung gezahlt und die vollständig freie Schiffsverpflegung gewährt. Ferner gab es verschiedene persönliche Zulagen, z. B. mit Blick auf das Dienstalter (Dienstalterszulage), die Weiterverpflichtung (Kapitulantenhandgeld) oder die Einschiffung als Reservist (Reservistenzulage). Im Übrigen kannte das System zahlreiche Stellenzulagen, z. B. bei Abkommandierung zum Arbeitsdienst  auf Werften, Depots oder Torpedowerkstätten, für Taucher oder für bestimmte Fachtätigkeiten. Jedermann erhielt ferner eine Hängematte, eine Matratze, 1 oder 2 wollene Decken und 2 Handtücher. 

Deckoffizier im Paradeanzug. Fotograf: Max Schimanski/ Kiel.
Deckoffizier im Jackett. Fotograf: August Niemeyer/ Kiel.

Verpflegung an Bord

Die Offiziere und die im Offiziersrang stehenden Beamten waren Tischgenossen der Offiziersmesse12. Es gab ferner Deckoffizier-, Fähnrichs- und Seekadettenmessen. Der Kommandant hatte eine eigene Messe. Die Kosten der Messen wurden aus so genannten Messe- und Tafelgeldern bestritten. Mit diesen vom Reichsmarineamt festgesetzten Geldern wurde gewirtschaftet. Unteroffiziere, die nicht  zur Deckoffiziersmesse gehörten und die Mannschaft erhielt freie Schiffsverpflegung, d.h. es gab keine Abzüge von der Löhnung. Für die Verpflegung teilte man die Mannschaften in so genannte Backmannschaften (jeweils 10-14 Leute), die an einem Tisch zusammen aßen.  Die Backen (= Tische) wurde zu den Mahlzeiten im Zwischendeck und in der Batterie aufgeschlagen, das Essen bzw. der Proviant musste im Wechsel geholt und das Essgeschirr gereinigt werden. Über die Verpflegung auf einem Schulschiff berichtet der spätere General der Fallschirmspringer Bernhard Ramcke: „… Aber Hunger hatten wir immer. Die Verpflegung auf den alten Segelfregatten war auf See im Großen und Ganzen noch so, wie sie als Seemannskost seit alters üblich war. Erbsen, Bohnen, Linsen und Pökelfleisch mit Erbsen, Bohnen, Linsen, Labskaus und Kabelgarn (angebratenes Corned beef) spielten eine große Rolle. Am Sonntag gab es Hartbrotpudding mit Rosinen und weißer Tunke aus verdünnter Büchsenmilch als Nachspeise. Frisches Brot gab es nur im Heimathafen, sonst nur Hartbrot und zwei- bis dreimal in der Woche das in der Bäckerei an Bord in kleinen Formen gebackene Graubrot“13.

In der Kombüse der SMS Gneisenau. Originales Foto um 1910.
In der Mannschaftsback auf dem Schulschiff SMS Viktoria Louise. Originales Foto um 1909-11.
Weihnachten an Bord der SMS Thüringen. Zu sehen sind Applikanten. Originale Fotokarte um 1915.

Bewertung

Das Leben an Bord war durch die Besonderheiten des Seelebens geprägt und in neuerer Zeit zunehmend von komplizierter werdenden Waffensystemen beherrscht. Drangvolle Enge, harter Drill und wenig persönlicher Freiraum  prägten den Alltag auf den Schiffen. Da die deutsche Flotte  im Weltkrieg nur sehr eingeschränkt zu Aktionen auf See auslief, entstanden lange Wartepausen. Diese führten zu Belastungen der auf engsten Raum zusammen lebenden Menschen, Kritik entzündete sich auch an der stark differierenden  Verpflegungssituation zwischen Seeoffizieren und den übrigen Besatzungsmitgliedern. Nicht ohne Grund ging die Revolution 1918 nicht vom Landheer, sondern von der Marine (in Kiel) aus.

Matrose im weißen Zeug. Fotograf: Atelier Oberpollinger/ München.
Matrosen der SMS Fuerst Bismark im blauen Zeug. Originales Foto. Kowloon/ Hongkong.
Angehöriger der I. Matrosen-Division im Überzieher (Colani). Fotograf: Max Schoss/ Kiel. Auf dem linken Oberärmel ist das Funktionsabzeichen zu sehen.
Matrose der SMS Geier im Paradeanzug. Fotograf: Atelier Hoffmann/ Weimar.

Fußnoten:

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