Die preußische Armee unter Friedrich Wilhelm I. (1713 - 40) - Kapitel 9 - Das Wehrersatzsystem - die Werbung.

Mit der Werbung im In- und Ausland verbinden sich zahlreiche Mißstände und die Exzesse im Zusammenhang mit der intensiven Jagd preußischer Werbekommandos nach großgewachsenen Rekruten hat das Image des preußischen Staates in den Augen der Zeitgenossen und der Nachwelt nachhaltig beeinträchtigt. Allerdings war der Heeresersatz durch Ausländer ein Problem sämtlicher Heere des 18. Jahrhunderts und charakteristisch für das Zeitalter der Söldnerheere. Ein Zeitgenosse berichtet: „ Die Werbungen sowohl innerhalb als außerhalb des Landes wurden unter KönigFriedrich Wilhelm unausgesetzt mit aller Strenge betrieben. Keine Schule war davon befreyt, nur die Universitaeten. Solange der Student auf der Universitaet und in deren Mauren sich aufhielt, so befand er sich in eine Freystadt. Das Dessauische Infanterie-Regiment lag in Halle, und dieses caperte vor den Thor, in den Dörfern, auch zuweilen wohl gar in der Stadt des Nachts manchen Studenten weg. Sie eilten mit ihnen nach Dessau, biß der darüber entsandene Lerm und Tumult sich unter den Studenten gelegt hatte. Sobald man die Universitaet verließ, so war man nirgens sicher, selbst die Candidaten, wenn sie zur Ordnination nach Magdeburg, Stendal, Berlin etc. Reiseten, waren in Gefahr, im Thor angehalten und weggenommen zu werden. Den(n) nur die würcklichen Prediger, aber kein Candidatus iam vocatus, auch kein Schulbedienter war vor die Werber sicher. Hir in Azendorf besetzte ein Comando Soldaten in der Nacht dieSchule und hohlten den Organisten Franken aus seinem Bette und führten ihn nach Calbe. Weil er aber den Officier viel größer beschrieben, als er würcklich war, so brachte ihm der ihm nacheilende Herr Inspector Theune von da gleich wieder mit sich zurücke. Nicht besser machten es die preußischen Officier und Unterofficier, die außer Landes auf Werbungen gesand wurden. Jedes Regiment wehlte dazu die listigsten und verschlagendste Köpfe. Wenn diese einen großen Kerl nicht überreden konten, sich anwerben zu lassen zu laßen und Handgeld zu nehmen, so suchten sie sich seiner mit Listund Gewalt zu bemächtigen. Nichts war ihnen zu schwer, nichts zu gefährlich; sie wagten ales und ließen es darauf ankommen, wie es ablaufen würde. Sie brachen ein, hohlten den großen Kerl aus dem Bette, warfen ihm so im Hämde ofte gebunden und geknebelt auf einen parat stehenden Wagen und eilten mit untergelegten Pferden, die Gränze und unsere Provinzien zu erreichen“1. Die Mißstände bei der in- und ausländischen Werbung sind auch mit dem enormen Leistungsdruck zu erklären, der auf den verantwortlichen Offizieren lastete. Das Regelement von 1726 sprach diesbezüglich eine deutliche Sprache: „Wenn die Capitaines hübsche Leute ohne Klagen und Gewaltthätigkeiten mit guter Manier anwerben, die Obriste gute Regimenter, und die Capitaines gute Compagnien an Mannschaft in guter Ordre vorführen werden; Alsdenn Selbige bey Seiner Königl. Majestät sich bestens recommendiren werden; Im gegentheil diejenigen, welche schlechte Regimenter und Compagnien und Compagnien haben, auf das aller übelste sich recommendiren werden“.

Friedrich Wilhelm I. und die Langen Kerls. Zeichnung von Adolph v. Menzel. Entnommen aus: Geschichte Friedrichs des Großen. Geschrieben von Franz Kugler. Leipzig. Ungekürzte Volksausgabe.

Das auswärtige Ersatzgeschäft wurde durch die „Disposition und Ordres, wonach die Königl. Preuß Infanterie-Regimenter von dato den 13. Sept. 1732 wegen der Werbung sich zu verhalten haben sollen“ für die Zeit Friedrich Wilhelms I. abschließend gereglt. Danach war die gewaltsame Werbung im Ausland ausdrücklich verboten, bei außergewöhnlicher Körpergröße des Aspiranten galten jedoch Sonderreglungen. Die Regimenter durften sich im Rahmen des Werbegeschäftes nicht gegenseitig überbieten. Die vorgenannte Disposition legte genaue Anforderungen an eine gute Kompanie hinsichtlich der Körpergröße fest und bestimmte, dass „die Regimenter aber, so nicht nach der unten gezeigten Norme im Stande sind, wie Se. Königl. Majestät es haben wollen, sollen alle Mühe und Fleiß dazu anwenden, sich dergestalt in kurzer Zeit zu verbessern, und zwar die sehr schlechten Regimenter in 3 Jahren und die halb schlechten in Zeit von 2 Jahren“. Im Falle der Zufriedenheit mit dem Zustand der Regimenter versprach der König Beförderungen, Pensionen und andere Gnadenbezeigungen. So wurde der preußische Oberst Johann Anton Franz Freiherr von Buttlar am 18.05.1719 auch deshalb zum Ritter des Hohen Ordens vom Schwarzen Adler ernannt, weil er wiederholt besonders „Lange Kerls“ aus Hessen geliefert hat2. Beschwerden über zu hohe Werbungskosten ließ der König nicht gelten, sondern verwies auf das Erfordernis guter Haushaltung. Der Zuwachs an Enrollierten sollte zur Verbesserung der Kompanien verwendet werden. Zur Erhöhung der Beurlaubtenquote und Aufstockung des Wrbetetats wurde die erforderliche Stärke der Wachen - außer in den großen Garnisonen Berlin, Magdeburg und Königsberg - reduziert, allerdings sollten die Beurlaubten nicht weiter als 20 Meilen vom Standort der Einheit beurlaubt werden. Unteroffiziere sollten nicht länger als 12 Tage beurlaubt werden, Tambours gar nicht. Die Exerzierzeit wurde die Zeit vom 01.04. bis zum 30.06. festgelegt.

Anwerbung von Rekruten um 1700 (nach Flemming, Der Vollkommene Teutsche Soldat, 1726). Entnommen aus: D. F. W. Deiß, Das Deutsche Soldatenbuch,. Deutschlands Wehr und Waffen im Wandel der Zeiten, Leipzig 1926, S. 154.

Die Anwerbung der Ausländer erfolgte durch Werbekommandos, die in erster Linie im Reich (vor allem in Mittel- und Süddeutschland) agierten. Ein kaiserliches Werbepatent vom 21.08.1730 erlaubte dem preußischen König als Kurfürsten von Brandenburg in den Reichstädten Köln, Nürnberg und Frankfurt zu werben.  In Reichsstadt Köln nahmen die preußischen Werbungen in der Zeit von 1700 - 1750 zahlenmäßig die erste Stelle ein3. Die Werbung in Bremen und Verden, im Münsterischen und Hannoverschen war zeitweise verboten (Befehl vom 19.04.1721). Das Infanterie-Regiment No. 22 (Stargard) schickte im Jahre 1720 „zum ersten male auf auswärtige Werbung nach Polen und insbesondere nach Danzig“4. Am 04.04.1728 erfolgte das ausdrückliche Verbot, „daß keine Leute weder aus Polen noch aus Sachsen mit Gewalt engagirt, viel weniger aus dem Lande geholt werden sollen„5. Friedrich der Große schrieb als Kronprinz und Regimentschef des Infanterie-Regimentes No. 15 in den Jahren 1732-40 Briefe an einen in Schaffhausen (Schweiz) stationierten preußischen Werbeoffizier (zu Ulrich Bräkers Zeit - 1755 - lagen in Schaffhausen gleichzeitig 5 preußische Werbeoffiziere).  In den kaiserlichen Erblanden war teilwesie die Werbung durch preußische Werbekommandos verboten, so erging am 27.02.1733 an die ostpreußischen Regimenter folgender Befehl: „Ich mache Euch hierdurch bekandt, daß hinführo keines von Meinen Regimentern bey Meiner Höchsten Ungnade und schwehrer Straffe sich unterstehen soll, sonder Erhaltung eines Passes vom dem Kaserl. General Graf v. Seckendorff in denen Kayserl. Erblanden Einige Leuthe anzuwerben. Ihr sollet also die etwa daselbst befindlichen Werber sogleich beordnern zurück zu kommen, woferne Ihr nicht vorgedachten Paß erhalten könnet“6. Die Abberufung wurde am 26.01.1736 wiederholt und preußische Werbekommandos nur zeitweise in Schlesien und Böhmen geduldet. Am 01.02.1734 bat der Kronprinz Graf v. Seckendorff „...mir doch die Gefälligkeit erweisen (zu) wollen, und meinen Fähnrich v. Plöz, welchen ich nach Neapolis auf Werbung schicken will, an den dortigen ViceRe ein recommandations-Schreiben zu geben, weil ich versichert bin, daß er auf solche Art um so eher reuissiren werde“7.  Franzosen sollten nur angeworben werden, wenn sie mindestens 10 Zoll maßen (Zirkularordre vom 05.07.1734)8. Insgesamt kritisierte der König im Jahre 1732, daß er im Ausland stets wenige Werber antraf, obwohl er doch so viele Werbepässe ausstellte.

Beispiel für ein Werbeplakat aus dem 18. Jahrhundert. Entnommen aus: Georg Liebe, Der Soldat in der deutschen Vergangenheit, Leipzig 1899, S. 114.

Inhaber von Kompanien, die das Soll nicht erfüllten, sollten selbst auf Werbung gehen, ansonsten sollten die Werber sparsam und gute Haushalter sein. „Und wenn S. K. Majestät bemerket, daß die Menage hier und da, bei der Werbung nicht recht beobachtet worden, so wollen Sie ernstlich, daß ein jeder Offizier, der auf Werbung gehet, alle unnöthigen depencen in Essen und Trinken, Spielen, chamerirten Kleidern und dergleichen nichts helfende Sotisen vermeiden soll, weil ein Offizier nicht zur Lust auf Werbung geht, sondern es eine kommando Sache ist, und zum Königlichen Dienst gehöret, also soll ein Subaltern Offizier auf der Werbung nicht mehr als 10. Rthlr. Monatlich Zulage zu seinem Quartier und Unterhalt haben, womit er auskommen muß“. Für die Abkommandierten galten feste Zulagensätze, ein subalterner Offizier erhielt 12 Rthl. Mtl., die Post- und Fuhrgelder wurden gesondert abgerechnet. Unteroffiziere, die tüchtige Leute mit guter Konduite sein sollten, erhielten an mtl. Zulage: 4 Rthl. Mtl.und Musketiere 2 Rhtl. 12 Gr. mtl. Amtspflichtverletzungen während des Werbekommandos und die Verunstreuung von Werbegeldern wurden streng bestraft. Die Stabsoffiziere sollten sich über die Aufführung insbesondere der subalternen Offiziere erkundigen, Kontrolle wurde verlangt. Die Rekruten wurden erst bei Ankunft beim Regiment eingekleidet und ausgerüstet.

Beispiel für eine Rangier-Rolle und der entsprechenden kritischen königlichen Reaktion. Aus: Militär-Wochenblatt, 1894, Nr. 87 (S. 2279).

Die Werbung im Ausland war mit vielen Schwierigkeiten und einem hohen Risiko verbunden, insbesondere wenn die Werbekommandos zu illegalen Mitteln griffen. Immer wieder gab es Konflikte. Als im Jahre 1733 der Kapitän v. Kamiensky (D III.) durch den Hinweis eines Bürgers zu Gelnhausen auf einen großen Kerl in ein Wirtshaus auf kurmainz`schen Gebiet gelockt wurde, wurde der preußische Offizier verhaftet und erst nach Verwendung des Berliner Kabinets mit dem Zusatz in Freiheit gesetzt: „daß er sich nun hoffentlich künftig besser in acht nehme und auf bloßes Anbringen so leicht nicht sich auf ein ungewisses an einen unsichern Ort hinbegebe“9. Als im gleichen Jahre ein junger Offizier von K 4 in Augsburg aufgrund von Ausschreitungen von dem dortigen Magistrat festgesetzt wurde, schrieb der König an Friedrich Leopold v. Geßler: „Ihr sollet den Cornet von Wachholz Eures Regiments beordern, daß nachdem derselbe seines Arrestes in Augsburg erlassen worden, er sich in Berlin bey dem General Major von Kalckstein melden und bey der daselbst geordneten Commission seine in Augsburg geführte Conduite justificiren soll. Woferne aber derselbe vor Ausgang dieses Monaths sich nicht daselbst gestellet, soll er sofort cassiret seyn und Ihr allsdann einen andern in dessen Platz vorschlagen“10. Am 06.05.1733 schrieb der Kronprinz an seinen Vater: „Uebrigens Mus meinen aller Gnädigsten Vather berichten das wie der lieutenant Fink so von meinem Regiment durch permission des herzogs von Lottringen dort auf Werbung ist als er seine Geschäfte nach durch ein lottringisch-französisches Dorf passierete, doch ohne des geringsten dort zu tentiren von den Franzosen ist aretiret worden und gefänglich nach Metz gebracht worden, ich bitte Meinen Aller Gnädigsten Vather Ganz unterthänigst sich seiner anzunehmen, die weil ich gewise weis das er nichts in Frankreich tentiret, sondern neuhr umbt einen Recruten so ihm deserthiret durch das Französische Lottringen nach das theutsche gereiset ist umb ihm bei die Ohren zu Kriegen ... „11. Die Erschießung des preußischen Werbeoffiziers Michael Georg v. Wollschläger im Jahre 1733 führte zu einem ernsthaften Konflikt mit den Niederlanden12. Schon im Jahre 1728 hatte es aufgrund der zunehmenden preußischen Werbung diplomatische Schwierigkeiten mit Holland gegeben. Friedrich Wilhelm I. schrieb an General v. Heyden (No. 9): „Mein lieber General von der Infanterie von Heiden, Ich habe Euch hierdruch bekannt machen wollen, daß Ich nochmals die gewaltsame Werbung aus dem Holländischen territorio bey Cassation derer Officiers verbothen haben will, 

Beispiel für die Wahl der Mittel von Werbeoffizieren bei der Beschaffung möglichst groß gewachsender Rekurten. Aus: Jahrbuch für Armee und Marine, Bd. 1, S. 110.

Das Verbot der gewaltsamen Werbung galt aber nur eingeschränkt. Es kam auch immer wieder zu Konflikten zwischen preußischen Regimentern. Bereits das Reglement von 1726 (S. 551) bestimmte: „Seine Königl. Majestät sind in Erfahrung kommen, daß die ausgeschickte Officiers zur Werbung in fremde Länder sich selber die Werbung difficile machen, indem ein regiment dem andern die Leute überbietet, und ein Kerl bißweilen mit Officiers von unterschiedlichen Regimentern in Capitulation stehel; Derohalben Seine Königl. Majestät solches erntlich verbieten, und zugleich befehlen, daß, sobald ein Kerl von einem Officier von einem Regiment angesprochen ist, kein Officier von einem andern Regiment selbigen zu engagiren, und den Kerl abspänstig zumachen sich unterstehen soll; Es wäre denn daß sich der erste Officer eines solchen Kerls ganz begeben thäte, und selbiggen nicht bekommen könnte“. Trotz dieser Regelung kam es aber immer wieder zu entsprechenden Auseinandersetzungen, zu groß war der Leistungsdruck, der auf den Kompanieinhabern und letztlich auf den Werbeoffizieren lastete. Am 19.09.1728 befiehlt Friedrich Wilhelm I. dem Regimentschef von D III.: „Mein lieber General-Major v. Schulenburg. Da Ich vernehme, daß ein Recrute vom Thiel`schen Regiment, Nahmens Motte, dem Unteroffizier, so ihm zu gedachten Regiment bringen wollen, durch 4 Grenadiers von Eurem Regiment mit Gewalt abgenommen worden. So befehle Ich Euch, daß Ihr erwähnten Kerl sofort dem Thiel`schen Regiment extradiren sollet. Ich bin etc.“13.    

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