Die preußische Armee unter Friedrich Wilhelm I. (1713 - 40) - 10. Kapitel - Das Wehrersatzsystem - das Kantonwesen

Die Ergänzung der preußischen Armee erfolgte – wie schon aus dem vorigen Kapitel zur Werbung ersichtlich - durch freiwillige Werbung im In- und Ausland und durch Aushebung einheimischer Wehrpflichtiger, wobei sich die letztere Variante zunächst im Laufe der Jahre in der Praxis entwickelte und erst später vom König förmlich anerkannt wurde. Die auswärtige Werbung war aber in der bisherigen Geschichte der preußischen Armee stets nur ein Hilfsmittel gewesen, in erster Linie ergänzte sich die Armee durch die Anwerbung von Inländern. Unter dem Großen Kurfürsten war die Armee zwar kein Volksheer, „sondern ein Heer von Berufssoldaten, die nicht ausgehoben, sondern angeworben wurden, jedoch meist Landeskinder waren“1. Dabei war sich der Große Kurfürst bewusst, dass die Dienste von Landeskindern im Rahmen einer Nationalbewaffnung die bessere und vor allem die billigere Art der Heeresergänzung als die Anwerbung fremder Söldner war. Die Bemühungen, das Lehns- und Landesaufgebot der Ritterschaft und der Stände zu reorganisieren scheiterte am regelmäßigen Widerstand der Betroffenen. Obwohl der Große Kurfürst desöfteren das Volk zu den Waffen rief, war das Ergebnis aufgrund der mangelnden Einstellung der Stände und der Bevölkerung zur Dienstpflicht unbefriedigend. Das Landesaufgebot kam nur im Krieg gegen Schweden (1674/ 75) zum wirklichen Einsatz, blieb aber ohne Rückhalt durch reguläre Truppen ohne Wirkung. Auch beim Einfall der Schweden in Ostpreußen wurde das Landesaufgebot zu den Waffen gerufen. Friedrich III. bzw. I. änderte den Ersatzmodus zunächst nicht, versuchte aber, dem stehenden Heer eine Landmiliz an die Seite zu stellen. Die sogenannte Landmiliz wurde 1701 auf den Schatullgütern, 1703 in den Amtsdörfern und 1705 (07.05.) in den Städten eingeführt. Die Ritterschaftsgüter wurden hiervon nicht berührt, da der Adel erfolgreich auf seine Lehnspflichtigkeit verweisen konnte. Die bei der Landmiliz Enrollierten waren von Einquartierung, Marschfuhren, Botenlaufen, Teilnahme an den Wolfsjagden und ähnlichen Frondiensten und öffentlichen Lasten befreit und durften von den Regimentern nicht angeworben werden. Enrolliert wurden nur junge, kräftige unverheiratete Männer, doch auch Verheiratete, welche keine Güter und Nahrung hatten. Die Dienstzeit dauerte 5 - 6 Jahre. Die Landmiliz sollte der Schaffung einer Reservearmee dienen und basierte auf der nach wie vor gültigen Wehrpflicht der Untertanen. Die stehende Armee sollte im Kriegsfall durch die Landmiliz vom Dienst im Lande entlastet werden, allerdings genossen die Landmilizsoldaten nur eine dürftige Ausbildung, insofern war ihr militärischer Wert eher als gering einzustufen. Vor Einführung der Landmiliz wurde die freiwillige Werbung durch landesinterne Aushebungen ergänzt, wobei die Freiwilligkeit angesichts der langen Kriegsperioden unter Friedrich III./ I. immer mehr unterdrückt wurde. Die Rekruten für die stehende Armee sollten ab 1688 durch die Provinzen und Ständen gestellt werden, ab 1691 führte man wieder Werbung durch die Regimenter ein. Beide Spielarten der Ergänzung waren mit Nachteilen behaftet, so wiesen die Rekruten bei Gestellung durch die Provinzen und Kreise häufig eine schlechte Qualität auf, die unteren Bevölkerungsschichten waren hierbei überrepräsentiert. Bei der Werbung durch die Regimenter nahm man häufig nicht Rücksicht auf die persönlichen Verhältnisse des Ausgehobenen, Gewalt und Willkür verunsicherte die Bevölkerung und die Volkswirtschaft nahm Schaden. Durch das „Interims-Reglement und Verfassung, wie es mit Rekrutierung der Regimenter sowohl zu Pferd wie zu Fuß gehalten werden soll“ des Jahres 1693 (20.11.) wurde schließlich die Ergänzung auf der Basis eines Territoiralsystems vereinheitlicht. Nunmehr meldeten die Regimenter ihren Bedarf an Ersatzmannschaften an die staatliche Verwaltung, diese verteilte den bedarf auf die verschiedenen Provinzen und Kreise, welche den Regimentern als feste Werbeplätze zugewiesen wurden. Die Rekruten mußten von den Provinzen und Kreisen zu einem bestimmten Zeitpunkt gestellt werden, sonst konnten sich die Regimenter selbst komplettieren.

Friedrich Wilhelm I. baute die Armee zahlenmäßig konsequent aus, die Folge war ein enormer Rekrutenbedarf. Dabei verfolgte der König das Ideal einer ausschließlich aus Landeskindern bestehenden Armee und ließ sich in diesem Ziel auch zunächst nicht durch Kritik von militärischen Persönlichkeiten beirren. So machte Generalfeldmarschall Graf von Wartensleben dem König in den ersten Wochen nach dessen Regierungsantritt Vorstellungen, daß er eine Armee von 60000 Mann aus lauter Landeskindern haben wolle2. Um die vorhandenen Lücken in den Regimentern und den angestrebten Ausbau des Heeres zu befördern wurden vom König zunächst einmal alle abgeschlossenen Kapitualtionen einseitig kassiert, so heißt es z. B. in einem Befehl vom 15.03.1713 an den Kommandeur von D III. (Oberst v. Bornstedt): „daß diejenigen, so einmahl geworben so lange dienen, biß S. K. Maj. Sie Dero Diensten zu erlassen von selbsten allergnädigst gefallen wird, auch daß alle Capitulations, so ein oder der andere von der gemeinen Soldatesque gegenwärtig mit seinem Capitain haben möchte, von nun an cassiret und aufgehoben seyn solle, Alß fügen Sie diese Dero Allergnädigste Willens-Meynung dem Obrist v. Bornstedt, alß Kommandeur seines unterhabenden Regiments Dragoner, hiermit in Gnaden zu wissen, mit allergnädigsten Befehl, solche denen Capitains besagten Regiments gleichfalls bekannt zu machen und darauf zu halten, daß derselben von jedweden mit allerunterthänigstem Gehorsam nachgelebet und kein Soldat unter Praetext einer habenden Capitulation dimittiret werden möge“3.    

Abschrift nach einer Beilage zu Frauenholz, Deutsche Kriegs- und Heeresgeschichte, 1927, Bd. IV.

In der Folge setzte sich die preußische Armee aus In- und Ausländern zusammen. Die Inländer wurden hierbei im Rahmen des Kantonsystems in den den einzelnen Regimentern zugewiesenen Wehrersatzbezirken ausgehoben. Das Kantonsystem entwickelte sich unter Friedrich Wilhelm I. im Verlauf vieler Jahre, wobei das ihm zugrunde liegende Territorialsystem seine erste Ausprägung bereits unter Friedrich I. fand, als dieser 1708 jedem Truppenteil einen bestimmten Bezirk zuwies und die Einheiten sich fortan aus diesen ergänzen mußten. Unter Friedrich Wilhelm I erfolgte die Rekrutierung zunächst durch Werbung im In- und im Ausland, die Werbung im Inland hatte hierbei aber häufig den Charakter einer Zwangsrekrutierung von einheimischen Rekruten. Aufgrund zahlreicher Übergriffe des Militärs kam es zu Fluchtbewegungen der Bevölkerung. Am 17.10.1713 reagierte darauf ein „Edict, daß Unterthanen und junge Mannschafft aus Furcht der Werbung nicht aus dem Lande gehen sollen“ 4. Demnach sollten Untertanen, die aus Furcht vor der Zwangswerbung das Land verlassen hatten, „vor würckliche Deserteurs gleich von der Militz geachtet und gehalten, selbige wo möglich so fort arrestirt, und eben als Deserteurs von gedachter Militz an Leib und Leben gestraffet werden“. Es folgten Strafbestimmungen auch für Eltern und Obrigkeiten, die die Flucht zulassen. Da aber der Appell an die dem „Könige und Landes Herrn schuldige natürliche Pflicht“ und entsprechende Strafandrohungen offenbar wenig fruchteten, hob eine königliche Ordre vom 03.04.1714 die Inlandswerbung auf 5. Nunmehr sollten alle Werbungen „in Dero Landen gäntzlich aufhören, und keine andere als diejenigen, so sich freywillig und ohne Zwang zu Kriegsdiensten angeben, bey Dero Regimentern und Bataillons angenommen...“ Offizieren, die insgeheim oder sogar öffentlich die Inlandswerbung fortsetzten und sich hierbei gewaltsam Rekruten verschafften, drohte nun die sofortige Kassation. Am 22.01.1716 wurde allerdings die Inlandswerbung erneut genehmigt. Die Regimenter sollten Listen über den Rekrutenbedarf an die Kommissariate in den Kreisen und Städten einreichen und sich über die anteilige Gestellung der erforderlichen Rekruten einigen, wobei ausdrücklich betont wurde, dass „es lauter gute und zu Kriegs-Dienst tüchtige Leute seyen, welche allerhöchst-gedachte seine Königliche Majestät, wann Sie selbige in Augenschein nehmen werden, auszumustern und zu verwerffe nicht Ursach haben mögen...“6

Abschrift nach einer Beilage zu Frauenholz, Deutsche Kriegs- und Heeresgeschichte, 1927, Bd. IV.

Angesichts der starken Vermehrung des Heeres und der gesteigerten Anforderungen an die Güte der Rekruten erwies sich die ausschließliche Werbung im Ausland aber als unzureichend und darüber hinaus auch als zu kostspielig, deshalb sahen sich die Regimenter gezwungen, wieder im Inland zu werben. Um 1720 begannen sie im Umfeld ihrer Standquartiere dienstfähige junge Leute in Listen zu erfassen (enrollieren), um ihrer bei Erreichung des wehrtauglichen Lebensalters und hinreichender körperlicher Tüchtigkeit sicher zu sein7. Hierbei kam es jedoch zu zahlreichen Kompetenzstreitigkeiten zwischen den verschiedenen Regimentern, auch nahmen die Militärs bei den Enrollierungen kaum Rücksicht auf private und öffentliche Belange. Bereits im Reglement von 1726 wurde der aus der Zeit vor 1713 für die Landmiliz gebräuchliche und nunmehr auf das stehende Heer übertragene Modus der Enrollierung anerkannt: „Weilen die Regimenter die junge tüchtige Mannschaft enroliren: Derhalten unter keinerley Prätext die gewaltsame Werbung statuiret wird: Wovor die Commandeurs der Regimenter repondiren sollen. Die Regimenter können die junge Leute nach ihren Gefallene enroliren, aber der Capitaine soll keinen enrolirten jungen Burschen eher zur Fahne schweren lassen, bevor er nicht zum Heiligen Abendmahl gewesen ist, damit der Eyd nicht profaniret werde“  (Infanterie-Reglement von 1726, S. 550).

Abschrift nach einer Beilage zu Frauenholz, Deutsche Kriegs- und Heeresgeschichte, 1927, Bd. IV.

Aufgrund der Unregelmäßigkeiten in der Praxis bedurfte diese Form des Heeresersatzes jedoch einer umfassenden Regulierung. Diese erfolgte durch die kgl. Befehle vom 01.05., 18.05. und 15.09.1733, die das Kantonsystem offiziell einführten. Den einzelnen Regimentern wurde nun jeweils ein fester Aushebungsbezirk zugewiesen, Kantone genannt. Die Kantone gliederten sich in zehn bzw. fünf gleiche Teile und umfaßten bei der Infanterie durchschnittlich 5000, bei der Kavallerie durchschnittlich 1800 Feuerstellen. In der Praxis waren aber die Kantone in Abhängigkeit von der Bevölkerngsdichte unterschiedlich groß. Auch der Artillerie wurden eigene Kantone zugewiesen. In den rheinisch-westfälischen Besitzungen wurde die Kantonpflicht durch Befehl vom 30.10.1735 übertragen.

Urlaubsschein für einen Enrollierten v. 25.11.1735 (Wesel). Entnommen aus der Rheinischen Post v. 30.08.1958.
Text des obigen Urlaubspasses. Quelle: ebendort.

Dem Kantonsystem lag der Gedanke der Wehrpflicht zugrunde, doch von Anfang an durchbrachen eine eine Reihe von Befreiungen (Exemtionen) dieses Prinzip. Schon früh wurden aus volkswirtschaftlichen Gründen ganze Berufszweige, wie die Wollarbeiter, Zimmermeister und -gesellen (die nach Pr. und Litauen gehen wollten), Manufakturiers, usw eximiert. Aus ständepolitischen Rücksichten waren ferner bestimmte Bevölkerungsschichten von der Kantonpflicht ausgenommen, befreit waren insbesondere der Adel und die für Handel und Gewerbe maßgeblichen bürgerlichen Schichten in den Städten. Mit Hinblick auf die Bevölkerungsvermehrung schützte man Kolonisten und zuziehende Fremde vor dem Dienst in der Armee, auch wurden ganze Städte und Provinzen aus Rücksicht auf die dortige Bevölkerung oder aus ökonomischen Motiven durch Freistellung privilegiert. Letztlich ruhte deshalb die Dienstpflicht auf den Schultern der unteren Bevölkerungsschichten.

Abschrift nach einer Beilage zu Frauenholz, Deutsche Kriegs- und Heeresgeschichte, 1927, Bd. IV.
Abschrift nach einer Beilage zu Frauenholz, Deutsche Kriegs- und Heeresgeschichte, 1927, Bd. IV.
Abschrift nach einer Beilage zu Frauenholz, Deutsche Kriegs- und Heeresgeschichte, 1927, Bd. IV.

In den den Regimentern zugewiesenen Rekrutierungsbezirken wurde die junge männliche Bevölkerung in Listen eingetragen und bei Bedarf unter Berücksichtigung der körperlichen Tüchtigkeit einberufen. Bis zur tatsächlichen Einstellung in Reih und Glied erhielten die Enrollierten rote Halsbinden und Hutbüschel in den Farben des zuständigen Regimentes, denen sie obligat waren. Die Kantonisten unterstanden nun nicht mehr der zivilen, sondern der Militärgerichtsbarkeit, später wurde dies auf die wirklich eingestellten Kantonisten beschränkt. Die praktisch unumschränkte Verfügungsgewalt der Kompaniechefs über die Enrollierten in den Kantonen eröffnete aber zahlreiche Möglichkeiten für Willkür und Missbrauch. Abhilfe sollte hier erst die Änderung des Enrollierungs- und Aushebungsverfahrens in den Jahren nach 1763 bewirken.

Abschrift nach einer Beilage zu Frauenholz, Deutsche Kriegs- und Heeresgeschichte, 1927, Bd. IV.
Abschrift nach einer Beilage zu Frauenholz, Deutsche Kriegs- und Heeresgeschichte, 1927, Bd. IV.

Friedrich Wilhelm I. befand sich aber in dem Spannungsfeld zwischen den Ansprüchen des Militärs und den ökonomischen Bedürfnissen des Staates. Das Kantonsystem stellte einen empfindlichen Einbruch in die Rechte des Adels dar, da es erstmals einen großen Teil der Gutsuntertanen dem Zugriff des Gutsherrn entzog und ein direktes Band zwischen dem König und den Untertanen schuf, dadurch wurde die Rechtseinheit der Untertanen gefördert und das Sozialgefüge des Staates nachhaltig verändert. Vor allem aus diesem Grund wandten sich noch 1740 die Stände vehement gegen das Kantonsystem. In der Literatur wird vor allem die durch das Kantonwesen verursachte Militarisierung der Gesellschaft kritisiert. Allerdings zählt schon Heinrich diese Theorie "zu den bis heute fortgeschriebenen Legenden" (Geschichte Preußens. Staat und Dynastie. Propyläen, Frankfurt u. a. 1981, S. 233).

Abschrift nach einer Beilage zu Frauenholz, Deutsche Kriegs- und Heeresgeschichte, 1927, Bd. IV.

In diesem Zusammenhang wurde davon ausgegangen, dass die Schicht der Gutsbesitzer und das Offizierkorps personell identisch waren, also die Gutsherrschaft im Grunde die Vorschule des Militärdienstes war bzw. sich im Regiment bzw. in der Kompanie das Verhältnis Gutsbesitzer und Höriger in dem Verhältnis Offizier und Gemeiner fortsetzte, und zwar nicht nur prinzipiell, sondern auch tatsächlich. Diese eingängige These erwies sich für die Geschichtsbetrachtung des altpreußischen Staates lange Zeit als prägend, doch sie erwies sich in der Folge der historischen Überprüfung als zu eindimensional bzw. als eine unzulässige Verallgemeinerung.

Gegen die Grundannahme einer Übereinstimmung der Interessen der Gutsbesitzer und der Offiziere spricht bereits die Kritik der Stände an dem Kantonsystem (vgl. hierzu vor allem Götz v. Selle, Zur Kritik Friedrich Wilhelms I., in: Forschungen zur Brandenburgen und Preussischen Geschichte, 1926, S. 56 ff.). Der ursprünglichen These von Otto Büsch widersprach dann vehement Hans Bleckwenn. Auch die neuere Forschung konnte „keinen funktionalen Zusammenhang zwischen Gutsherrschaft und Kantonsystem“ (Harnisch) feststellen. Dies gilt sowohl für die ostelbischen Provinzen als auch für die westlichen Territorien (Kloosterhuis). Dieser Zustand verfestigte sich offenbar im Laufe des 18. Jahrhunderts. Für die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert wird z. B. für die Provinz Schlesien mitgeteilt, dass sich "der Offizierdienst. ... immer mehr erblich von Generation zu Generation auf bestimmte unbegüterte Militärfamilien (reduzierte)" (Eichendorff, zitiert bei Ziekursch, 100 Jahre schlesischer Agrargeschichte, 1915, S. 43). Martiny (Die Adelsfrage in Preußen vor 1806, Hall/ Saale 1938, S. 65 ff.) stellt am Beispiel des kurmärkischen Adels zwar eine Überfüllung der öffentlichen Ämter durch den Adel um 1800 fest, weist aber gleichzeitig darauf hin, dass die Offiziere durchschnittlich nur bis zum Leutnant oder Rittmeister und Hauptmann dienten und vermutet güterlose verarmte Adlige vor allem im Offizierkorps..

Abschrift nach einer Beilage zu Frauenholz, Deutsche Kriegs- und Heeresgeschichte, 1927, Bd. IV.

Insgesamt stellte das Kantonsystem einen Kompromiss zwischen den Interessen des Militärs und den Bedürfnissen des Staates und der Wirtschaft dar. Ausfluss dieses Kompromisses waren die stetig wachsenden Exemtionen. Diese reduzierten die Rekrutierungsbasis und verwässerten den Grundgedanken der allgemeinen Wehrpflicht. Unbestreitbar ist, dass die Kantonpflicht deshalb überwiegend auf den Schultern der unteren Schichten der Gesellschaft ruhte. Die zahlenmäßige Inanspruchnahme war aber außer in Kriegszeiten nicht sehr groß und die Belastung durch umfangreiche Beurlaubungen stark gemildert. Letztlich bewirkte das Kantonwesen eine engere Verbindung von Volk und stehender Armee. Es erlaubte durch die bessere und billigere Art der Ersatzbeschaffung dem relativ armen preußischen Staat die Unterhaltung eines kopfstarken Heeres. Die Kombination von Aushebung von Inländern im Rahmen der Kantonverfassung und Anwerbung von Ausländern aufgrund freiwilliger Verpflichtung unter Annahme eines Handgeldes bei öffentlichem Trommelschlag begründete ferner die heterogene Struktur der Armee und gab ihr durch eine Mischung von Elementen des Miliz- und Berufssoldatentums ein besonderes Gepräge. Friedrich der Große übernahm diese Form der Heeresergänzung und führte das Kantonsystem 1742 in Schlesien und 1772 in Westpreußen ein.  Nach 1786 wurde das Kantonsystem durch das Reglement vom 12.02.1792 abschließend geregelt und blieb in dieser Ausformung bis zum Niedergang der Armee im Jahre 1806/07 das wesentliche Element der Heeresergänzung. Als eine modifizierte Form der allgemeinen Wehrpflicht erwies es sich im Gegensatz zur Anwerbung von Ausländern als allein zukunftsträchtig.

Quellen

Bleckwenn, Hans, Bauernfreiheit durch Wehrpflicht - ein neues Bild der altpreußischen Armee, in: Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hg.), Friedrich der Große und das Militärwesen seiner Zeit, Herford - Bonn 1987.

Büsch, Otto, Militärsystem und Sozialleben im alten Preußen 1713-1807. Die Anfänge der sozialen Militarisierung der preußisch-deutschen Gesellschaft, Berlin 1980.

Göse, Frank, Zwischen Garnison und Rittergut. In: Pröve, Ralf (Hg.), Klio in Uniform? Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, Köln 1997.

Harnisch, Hartmut, Preußisches Kantonsystem und ländliche Gesellschaft. Das Beispiel der mittleren Kammerdepartements, in: Kroener, Bernhard/ Pröve, Ralf (Hg.), Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der frühen Neuzeit, Paderbprn u. a., 1996.

Jany, Curt, Geschichte der preußischen Armee vom 15. Jahrhundert bis 1914, Bd. I - IV., Osnabrück 1967.

Kloosterhuis, Jürgen, Zwischen Aufruhr und Akzeptanz. Zur Ausformung und Einbeziehung des Kantonsystem in die Wirtschafts- und Sozialstrukturen des preußischen Westfalen, in: Kroener, Bernhard/ Pröve, Ralf (Hg.), Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der frühen Neuzeit, Paderborn u. a., 1996.

Winter, Martin, Untertanengeist durch Militärpflicht? Der preußische Kantonsystem in brandenburgischen Städten im 18. Jhdt., Bielefeld 2005.

Fußnoten:

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