Anmerkungen zur Körpergröße des altpreußischen Soldaten - taktischer Hintergrund, Anforderungen und Praxis

Der Aufsatz wurde ursprünglich veröffentlicht in: Zeitschrift für Heereskunde, Nr. 354 März/April 1991, S. 43 ff.

Das Phänomen der Jagd nach "Langen Kerls"

In den Augen der Zeitgenossen und auch der nachfolgenden Generationen wird das Image der altpreußischen Armee vor allem durch die intensive „Jagd" von Werbekommandos nach „Langen Kerls" und den daraus resultierenden Werbeexessen im In- und Ausland belastet. Initiator dieser intensiven Suche nach großgewachsenen Menschen war König Friedrich Wilhelm I. (1713 - 40). Dieser ob seiner „Gigantomanie" häufig belächelte oder gar verspottete Monarch fasste die Anwerbung großer Leute durch andere Fürsten als Schikane auf und riskierte für seine Vorliebe für übergroße Rekruten sogar diplomatische Verwicklungen.

Der Faktor Körpergröße als Auswahlkriterium unter König Friedrich Wilhelm I.

Umso interessanter ist es einmal, die Motive für die besondere Beachtung des Faktors ,,Körpergröße'' und die entsprechende Praxis en detail auszuleuchten. Schon unter König Friedrich I. hatte die Körpergröße des Soldaten Beachtung gefunden, aber erst unter König Friedrich Wilhelm I. wurde das Maß neben der Exerzierfertigkeit ein wichtiges Kriterium für die Wertigkeit einer Formation und war bei den jährlich stattfindenden, die Exerzierzeit abschließenden Revuen Gegenstand des Interesses. Das Mindestmaß war vorgegeben, es betrug 5 Fuß 6 Zoll 1. Friedrich Wilhelm I. fixierte das Minimum der Anforderungen für das 2. Glied auf 6 Zoll, hingegen durfte das 1. Glied „bei einer schlechten Kompagnie Infanterie, die doch noch passieren kann" keine Leute unter 9 Zoll haben, wobei die Ansprüche an die seit 1723 formierten Füsilier-Regimenter ebenso wie an die Grenadiere (5 Zoll) etwas geringer waren 2. Im Jahre 1733 gab es in der 61 Bataillone zählenden Armee (ohne No. 6) nur 1.957 Soldaten, die unter 5 Fuß 6 Zoll groß waren. Die Regimenter Alt-Anhalt (No. 3) und Prinz Leopold (No. 27) wiesen sogar gar keine Soldaten unter 7 Zoll auf.

Die Maß-Situation beim Infanterie-Regiment v. Finkenstein No. 14 im Jahre 1733. Das Regiment war im Jahre 1626 als Regiment Kracht gegründet worden.

Der Faktor Körpergröße als Auswahlkriterium unter Friedrich dem Großen und Einzelbeispiele des Massgefälles bei der Infanterie

Auch unter Friedrich dem Großen behielt das Körpermaß als Qualitätsmerkmal seinen Stellenwert, jedoch befahl er am 24. VI. 1740, dass es „auf die Flügelleute so sehr nicht mehr ankommen solle". Die Rekruten für die ab 1740 neu errichteten Füsilier-Regimenter sollten nicht größer sein als 6 - 7 Zoll, als Minimum wurde 5 1/2 Zoll festgelegt. In seinem politischen Testament von 1752 forderte der König: ,,In den alten Infanterieregimentern wollten wir keinen Mann im ersten Glied unter 5 Fuß 8 Zoll und im zweiten unter 6 Zoll, gut gemessen haben. Die Regimenter, die ich geschaffen habe, haben in allen Gliedern ein Zoll weniger als die alten, aber die aus Schlesien gleichen sich ein wenig den alten Korps an'' 3 und wiederholte diese Vorgabe im Jahre 1768: ,,Ich wollte gern, daß die alten Regimenter bei sechs Zoll enden und die neuen nicht unter fünf Zoll heruntergehen" 4.

Beispiele für die Maß-Situation bei verschiedenen Infanterie-Formationen zu verschiedenen Zeitpunkten I.
Beispiele für die Maß-Situation bei verschiedenen Infanterie-Formationen zu verschiedenen Zeitpunkten II.

Die Verluste des Siebenjährigen Krieges und der minder­ wertigere zum Teil sehr junge Ersatz der letzten Kriegsjahre 5 bedingten einen Rückgang des Maßniveaus, was die Gegenüberstellung der Maße in der vorstehenden Tabelle aus den Jahren 1756 und 1762 (No. 19) und 1764 (No. 18) belegt. So war in der Armee das Bestreben allgemein, die durch­schnittliche Körpergröße der Soldaten im Zuge der Reorganisation nach dem Friedensschluss zu Hubertusburg im Jahre 1763 wieder anzuheben. Als Ergebnis dieser Bestrebungen konnte Friedrich der Große festhalten: ,, ... die Armee (ge­wann) von Jahr zu Jahr an Körpergröße und 1773 gab es in der Infanterie keine Kompanie mehr, deren Soldaten unter 5 Fuß 5 Zoll maßen".

Maß-Liste aus dem Infanterie-Regiment von Diericke (No. 16)aus dem Jahre 1805. Die Formation entstand im Jahre 1689 in Pillau aus dem Regiment Kurland und Garnisontruppen als Bataillon Graf Dohna.
Rekrutenaushebung in Apolda am 05. und 06.03.1779 (in Sachsen-Weimar). Zeichnung von Goethe. Dieser war Vorsitzender der Kriegskommission. Im Hintergrund wird ein angehender Rekrut gemessen. Entnommen aus: Goethe. Ein Bilderbuch. Sein Leben und Schaffen in 444 Bildern. Erläutert von Rudolf Payer-Thurn. Leipzig, Nr. 74.

Zur Situation bei der Kavallerie

Die Kavallerie musste sich unter Friedrich Wilhelm I. „ebenso großer Mannschaft befleißigen" (Seckendorf an Prinz Eugen, 1725), immer wieder betonte König Friedrich Wilhelm I., daß „die Rittmeister besser werben müssen". Die Reglements für die Kürassiere und Dragoner von 1743 beschränkten sich auf das Gebot, keine Leute unter 6 Zoll anzuwerben, die Regimenter sollten aber lediglich ihren Ab­gang ersetzen und sich nicht vergrößern 6.

Beispiele für die Maß-Situation bei verschiedenen Kavallerie-Formationen zu verschiedenen Zeitpunkten I.
Beispiele für die Maß-Situation bei verschiedenen Kavallerie-Formationen zu verschiedenen Zeitpunkten II.

Später fixierte man als Minimum für die Kavallerie 5 und als Maximum 8 Zoll. Bei den Husaren war die körperliche Größe unbedeutend, ,,... aber man muß auf das Alter sehen und darf keine Kinder in den Regimentern dulden" 7. Die Mindestanforderungen an die Neuzugänge für die Artillerie waren mit 4 Zoll festgelegt, Leute von 11 Zoll und mehr soll­ten nicht mehr angeworben werden. Nach dem Reglement für die ausländische Werbung vom 1. II. 1787 sollte die Grö­ße nicht unter 5 Fuß 5 Zoll, ausnahmsweise 4 Zoll, Füsiliere und Husaren 5 Fuß 3 Zoll betragen. Bei der Kavallerie sollte die Größe der Soldaten die Größe von 9, bei den Husaren von 7 Zoll nicht überschreiten.

Offizielle Vorschriften und Vorgaben zur Körpergröße als Auswahlkriterium

Nach dem Infanterie-Reglement von 1743 sollten sich die Offiziere bemühen, ,,8-, 9- und 10-zöllige Leute anzuwerben" 8. Die Handgelder waren der Körpergröße der Aspiranten gemäß gestaffelt und erreichten bei entsprechender Körperlänge des von den Werbeoffizieren umworbenen Anwärters auf den königlichen Rock immense Höhen. Friedrich der Große legte allerdings für die Handgelder eine verbindliche Obergrenze fest, denn im Wettbewerb um „tüchti­ge und gute Leuthe" überboten sich die einzelnen Regimenter manchmal untereinander. An die Gardeeinheiten (No. 6 und später No. 15 I, II/ III) mussten die Regimenter alljährlich großgewachsene Rekruten abgeben, die Unkosten wurden ersetzt. Die Rekruten für die Garde sollten nicht unter 9 Zoll groß sein. Aus der Zwangssituation heraus, anlässlich der jährlich stattfindenen Besichtigung durch den König bzw. den Generalinspekteur „gute Regimenter" und „gute Compagnien an Mannschaft in guter Ordre" vorzuführen, resultierte die Fortdauer der leidvoll bekannten Exzesse bei der Auslandswerbung. Selbst wenn die Bestimmungen des Reglements den Kompanie-Inhabern auferlegten, ,,hübsche Leute ohne Klagen und Gewaltthätigkeiten mit guter Manier" anzuwerben, bestand doch auf der anderen Seite ein beinahe existenzieller Leistungsdruck - und das Reglement ließ hierüber keine Zweifel: ,,Wann die ... Obristen gute Regimenter und die Compagnien an Mannschaft in guter Ordre vorführen werden: Alsdann selbige bey Sr. König!. Majestät sich bestens recommendiren werden: Im Gegentheil diejenigen, welche schlechte Regimenter und Compag­ nien haben, auf das allerübelste sich recommendiren wer­ den. Die Chefs und Commandeurs der Regimenter sollen die Capitaines anhalten, daß sie ihre Compagnien allezeit in gu­tem Stande halten und, wann unter einer Compagnie incapa­ bles Leute sind, solche ausrangiret und in deren Platz andere tüchtige Leute angeworben werden. Absonderlich die Chefs und Commandeurs der Regimenter diejenigen Capitaines, welche schlechte Compagnien haben, dazu anhalten müssen, daß sie von Jahr zu Jahr ihre Compagnien, so viel möglich, verbessern" 9.

Grenadier-Bataillon von Kenitz 1762. Links: Grenadier vom Infanterie-Regiment von Canitz (1806 von Rüchel Nr. 2) und rechts: Grenadier und Grenadier-Offizier vom Infanterie-Regiment von Braunschweig-Bevern (1806 von Owstien Nr. 7). Knötel, Uniformenkunde, II. Band, No. 1. Nach der originalen Tafel, verlegt im Verlag von Max Babenzien/ Rathenow.

Taktischer Hintergrund, Anforderungen und Praxis der Maßlisten

,,Im Frühjahr, sobald die Beurlaubten eingekommen" waren, wurden die Soldaten unter Berücksichtigung von Neuzugängen gemessen und „von dem Chef vom Regiment auf einem Rangier-Brett in einem Gliede von der rechten nach der linken, nach Schultern und Köpfen rangiret". Die einzelnen Kompanien sollten stets „rangiret" sein und Aus­ fertigungen der entsprechenden Rangierrollen mußten der Kompaniechef, Regimentchef, Regimentskommandeur und die Majors besitzen. Die rangierten Angehörigen einer Kom­ panie formierten drei Glieder, wobei „die Größten ... ins lte Glied, die folgenden ins 3te Glied, und die Kleinsten ins 2te Glied gestellet wurden" 10. Aus der Auswertung der ein­ zelnen Rangierrollen ergaben sich die Werte für die einzu­ reichenden Maßlisten.

Seit dem Jahre 1730 mussten die Regimenter alljährlich exakte Maßlisten einreichen und die Entwicklung des Maß­niveaus wurde genau verfolgt. Am 6. VII. 1730 schrieb Friedrich Wilhelm I. an den Regimentskommandeur des „v. Ludwigschen Regiment" (No. 7): ,,Mein lieber Generalmajor. Ich schicke Euch hiebey ein gesiegeltes Maaß. Darnach sollet Ihr jeden Soldaten des Regiments messen lassen, sonder Schue, und muß der Kerl auff ein gerades Brett stehen, und die Füße dichte zusammen halten. Nach dem befundenen Maaße sollet Ihr Mir also den lten September dieses Jahres, eine pflichtmäßige Liste von der rechten Größe der Leute schicken, so wie beykommendes Schema lautet, und soll diese Liste in eben so ein kleines Buch geschrieben wer­ den, daß auff jeder Seyte eine Compagnie zu stehen komme, wie Ihr denn auch dasselbe hinten mit Eurer Unterschrifft und Siegel attestiren, und Mir davor pflichtmäßig repondi­ ren müsset. Die Maaße soll bey dem Regiment verwahret und allemahl darnach gemessen werden. Ich bin Euer wohlaffectionirter König Friedrich Wilhelm" 11.

Ähnliches erfährt man in einer Ordre an den späteren Generalfeldmarschall Friedrich Leopold Graf v. Geßler: „Ich will, daß Ihr nunmehr Mir sofort die Maaß Liste von der Größe des Regiments, und zwar nach Meinem geregelten Maaß, Baarfuß gemessen, in Form eines Kleinen Büchelgens einschicken sollet" 12. War das Bild, welches die einzureichende „Rangier­ Rolle" bot, nicht zufriedenstellend, kam die königliche An­ twort aus Potsdam prompt; so schreibt König Friedrich Wil­helm 1. am 3. V. 1731 „an den Obristen v. Plotho vom Ludwigschen Regiment" (No. 7): ,,Mein lieber Obrister von Plotho, Ich habe die von Euch eingeschickte Rangier-Rolle des Ludwig'schen Regiments erhalten, und finde darin, daß Compagnien seyn, die in den ersten Zuge mehrentheils 9 Zol­ lichte aber wenig oder gar keine 11 Zollichte Kerls haben. Es sollen also im ersten Zuge 11 Zollichte und darüber danebst auch gute Flügel-Männer angeworben werden und müssen die ersten Züge alle wenigstens von 11. 9. und 10. Zollichten Leuthen seyn. Der Obrist-Lieut. v. Mylen und Capitain Kappel haben auch noch so kleine Leuthe, dahero sich solche angreiffen (anstrengen) und die Compagnie in beßern stand bringen müssen ..." 13. Als dem General-Lieutenant Georg Friedrich Heinrich von Borcke das Regiment No. 29 (1723-40 Wesel, später Breslau) verliehen wurde, verband der König dies mit der Aufforderung: ,,Ich habe zu Euch das Vertrauen, Ihr werdet dieses Regiment nicht allein in gutem Stand erhalten, sondern auch mehr und mehr zu verbessern geflissen sein" (Schreiben vom 23. V. 1736), hatte aber wenige Jahre später Anlass zur Kritik: ,, ... soll die Kompagniechefs dazu anhalten, besser zu werben, da sie wenig oder gar keine Flügels, auch in dem ersten Gliede noch viel 8 Zölligte haben, so müssen sich selbige sämtlich Besser angreifen und mehr Leuthe von 6 Fuß, auch 11 Zoll anwerben, Es ist schon ein Jahr nach der Revue mehrentheils vorbey, derhero die Capitains fleißig darauf arbeiten müssen um die Flügels in Stande zu bringen ..." 14.

Musketiere vom Infanterie-Regiment v. Canitz (No. 2). 1750 - 69. Nach einer Lithographie aus dem 19. Jhdt.

Königliche Reaktionen bei Nichterfüllung der Vorgaben

Auch König Friedrich der Große richtete sein Augenmerk auf das „Maaß" der Truppe und konnte im Falle eines unge­nügenden Ergebnisses im Ton recht scharf werden: ,,Wann Ihr Mich nun ferner zum Freunde haben wollet, so müsset Ihr nunmehr die Anstalt machen, daß das Regiment bald wieder in guthen Stand kommen, wann solches nicht ge­ schieht, wir uns verzürnen werden" (Schreiben aus dem Jah­re 1742 an den o. g. General-Lieutenant von Borcke). Als derselbe um seine Dimission einkam, antwortete der König im gleichen Jahr: ,,Ich habe Euer Schreiben vom 24. dieses, worin Ihr um Eure Dimission ansuchung gethan, erhalten. Es soll Euch solche unversaget seyn. Ihr müsset aber Euer Regiment erst wieder in guten Stand setzen und das erforder­ liche dazu anwerben. Worauf Ihr sodann den Abschied gleich bekommen sollt. Denn das Regiment zu ruiniren und hernach fort zu gehen ist keine Kunst" (Schreiben vom 30. VII.1742) 15

Körpergröße als Qualitätsmerkmal bei Aus- und Inländern

Der Faktor Körpergröße spielte nicht nur bei der Anwer­bung von Ausländern eine maßgebliche Rolle (Einfluss auf die Höhe des Handgeldes), sondern der besondere Stellen­wert körperlichen Wachstums als Gradmesser der Tauglich­keit bestimmte ebenso den weiteren Werdegang der im Rah­men des kantonalen Wehrersatzsystems enrollierten Inlän­der. Die Körpergröße der Enrollierten entschied im Zusam­menhang mit dem Bedarf des örtlich zuständigen Regimen­ts darüber, ob der Kantonpflichtige eingestellt wurde oder nicht. Die Führung einer Kantonrolle, welche Namen und Körpergröße exakt dokumentierte, war verbindlich, ,,damit diejenigen, so die erforderliche Größe haben, von den Regi­mentern desto leichter eingezogen, und dagegen so viel klei­nere Leute entlassen werden können ... '' 16. Enrollierte, die das 24. Lebensjahr vollendet, das Mindestmaß aber nicht erreicht hatten und auch kein weiteres Wachstum mehr ver­sprachen, waren als untauglich zu entlassen 17. Diese Grup­pe, die unter friedensmäßigen Bedingungen nicht eingezogen wurde, konnte aber unter Umständen (im Mobilmachungs­fall) als Stück-, Proviant- oder Wagenknechte verpflichtet werden. Laut Resolution vom 15. IX. 1733 sollten dies Aus­rangierte oder „in deren Ermangelung Leute von 5 Fuß oder 3 höchstens 4 Zoll sein 17. Das 1733 / 35 offiziell eingeführte Kantonsystem war eine allgemeine Wehrpflicht mit (zahlrei­ chen) Exemtionen und wurde bis 1806 durch die Ausländer­ werbung ergänzt. Die Befreiung von der Kantonpflicht fand aber stets dort ihre Grenze, wo beachtliches Wachstum den Eximierten in den Augen der Militärs besonders attraktiv für den Militärdienst werden ließ.

Einige wenige Beispiele mögen genügen: so waren zum Wohle der primär agrarisch strukturierten Wirtschaft „alle diejenigen eximiert, so mit Haus und Hof auf dem Lande angeseßen sind, wie auch deren einzelne Söh­ne", allerdings nur mit der Einschränkung: ,,es wäre denn, daß sie 5 Fuß und 10 Zoll groß wären" 18. Ferner wurde bestimmt, dass von mehreren Söhnen eines Hofwirtes nicht der älteste, sondern der kleinste (!) den Hof übernehmen, die übrigen aber Soldaten werden sollten 19. Wurde von einer zivilen Behörde ein vor der Einstellung stehender Kantonist wegen Unentbehrlichkeit reklamiert, war der Abschied klei­ner Leute in der Regel unproblematisch, bei großen sollten die näheren Umstände erst genau recherchiert werden 20. Gelernte Jäger, eigentlich dem Feldjägerkorps vorbehalten, verfielen dem Kanton, wenn sie über 6 Zoll maßen 21. Seit kg!. Befehl vom 14. X. 1737 gehörten die Theologiestuden­ten zu den von der Kantonpflicht befreiten Berufsgruppen, erreichten diese aber eine körperliche Länge von 5 Fuß 9 Zoll und darüber, traten sie in die Dienstpflicht zurück 22. Zur Förderung der im Aufbau begriffenen einheimischen Wirt­schaft waren schon früh ganze Arbeitergruppen eximiert, aber auch hier waren solche Arbeiter, die ein bestimmtes Körpermaß überschritten, von den Schutzbestimmungen ausgenommen 23. Den Magdeburgern Kaufleuten war aus­nahmsweise gestattet, auch bereits Enrollierte als Lehrlinge einzustellen, vorausgesetzt, sie waren nicht größer als 5 Fuß 4 Zoll und ließen weiteres Wachstum nicht erwarten. Die Körpergröße war ebenso ein wesentliches Kriterium für die Entlassung bereits einrangierter Angehöriger wichtiger Be­rufe (Professionisten) in das Zivilleben 24

Die Körpergröße entschied ferner über den sozialen Status der Kantonpflichtigen. Diejenigen, welche keine 5 Fuß 3 Zoll aufwiesen, unterstanden nach wie vor ihrer lokalen Patrimonial-, und nicht der Militärgerichtsbarkeit, was für die Betroffenen bedeutsame sozial-rechtliche Folgen hatte und einer Minderung ihrer gesellschaftlichen Position gleichkam 25. Im übrigen sollten sich die Regimenter sowie­ so bemühen, alle bereits eingestellten Soldaten unter 3 Zoll sobald als möglich zu verabschieden und durch größere Re­kruten zu ersetzen. Die Überbetonung körperlichen Wachs­tums als Qualitätsmerkmal hatte sogar Einfluss auf die mili­tärstrafrechtliche Praxis, denn „ wenn einmal ein diensttüch­tiger großer Kerl durch eigene Schuld dem Dienst entzogen zu werden drohte, konnte er sicher sein, seiner Länge wegen, gnädig abzukommen, selbst bei großen Vergehen" 26

Zum Ursprung der „Gigantomanie"

Über den historischen Ursprung der „Gigantomanie" le­sen wir in den Denkwürdigkeiten des Generals von Pfau: ,,... der Markgraf Philipp und Feldzeugmeister in der Armee war der erste, welcher zu Soldaten große Leute suchte und bey seinem Regiment zu haben verlangte, ihm ahmte der Kronprinz (Friedrich Wilhelm 1.) und Fürst Leopold nach, und dieses pflanzte sich auf die übrigen Chefs fort, zu Solda­ten nur große Leute in Dienst zu nehmen" 27. Das Motiv für die oft unverstandene, belächelte oder verurteilte intensive Suche nach „langen Kerls" war ein taktisches: je länger das Steinschlossgewehr (Füsil) ausfiel, umso größer war dessen wirksame Reichweite. Dies bedingte aber große Soldaten mit entsprechender Armspannweite. Um diesen Angelpunkt alt­preußischer Überlegenheit im Felde wussten auch schon ver­sierte Zeitgenossen: ,,Die Ursache, warum die Preußen gro­ße Leute zum Fussvolke nehmen ist nicht allein das Imposante des Anblicks, sondern auch, weil sie glauben, daß ein lan­ ger Mensch geschwinder lade, als ein kurzer" 28. Aber erst durch ein unermüdliches Exerzitium wurde die Feuerge­ schwindigkeit auf drei Schüsse in der Minute gesteigert und durch das längere Gewehr war eine wirksame Feuereröff­nung bereits auf einer Distanz von 200 m möglich. 

Zum Hintergrund der „Gigantomanie"

Wirtschaftskraft und Bevölkerungszahl des altpreußi­ schen Staates zogen der Heeresstärke Grenzen, so daß be­ sondere Qualität die mangelnde Quantität ersetzen mußte, und der Erfolg der altpreußischen Infanterie unter dem Kommando des Feldmarschalls Curt Christoph Graf von Schwerin (1684 - 1757) in dem Treffen bei Mollwitz (10. IV. 1741) bestätigte das Werk des Heeresschöpfers Friedrich Wilhelm I. und seines Vertrauten und Beraters Leopold von Anhalt-Dessau (1676 - 1747). In seinem Politischen Testament aus dem Jahre 1752 führt Friedrich der Große noch ein weiteres Argument für die be­sondere Bedeutung der Körpergröße bei der Rekrutierung von Ersatzmannschaften an: ,,Diese hohe Statur ist notwen­dig; die Männer, die sie haben, sind stärker als die anderen, und keine Truppen der Welt könnte ihnen widerstehen; wenn sie mit aufgepflanztem Bajonett angreifen" 29

Kritische - zeitgenössische - Stimmen

Die überzogene Vorliebe für große Soldaten wurde bereits von kundigen Militärs der Zeit durchaus kritisch gesehen. So warnte der später wegen der Kapitulation von Maxen in Un­gnade gefallene Generallieutenant Friedrich August von Fink in seinen „Gedanken über militärische Gegenstände" (1788) vor der Einstellung zu kleiner, aber auch zu großer Soldaten: ,,Die, welche sechs Fuß und mehr haben, halten wegen ihrer eigenen Größe und Schwere die Beschwerlich­keiten des Feldzuges nicht aus, besonders werden sie bei star­ken Märschen gar bald marode, und sind also mehr zur Pa­rade als zum Nutzen, hingegen sind die unter sechs Zoll zu schwach, und nicht im Stande die gehörige Feldequipage zu tragen". Als Infanteristen idealer Größe betrachtete er Leu­te von 5 Fuß 6 - 10 Zoll. Kavalleristen sollten 5 Fuß 6 - 9 Zoll groß sein, da „gar zu schwere Leute die Pferde sehr drücken". In seinen „Denkwürdigkeiten" äußert sich auch Lossow zu diesem Thema: ,,Bekanntlich sah man damals und bis zum Jahr 1806 sehr auf die Größe der Leute, und die Mißgriffe, welche hieraus entstehen mußten, sind bekannt. Wenn es nun aber auch irrig ist, zu glauben, daß nur ein gro­ßer Mensch ein brauchbarer Soldat seyn kann, so ist doch auch ausgemacht, daß zu Ertragung großer Fatiguen eine ge­wisse körperliche Größe und Stärke, so wie ein gewisses Al­ter nöthig, und vorzugsweise als brauchbar zu betrachten ist ...  "  30.

Streit 31 bestätigt in der im Jahre 1800 erschienenen „Mi­litairischen Encyklopädie" die fundamentale Bedeutung der Körpergröße für die Handhabung des Steinschloßgewehres und fordert deshalb eine Mindestgröße der Rekruten von 3 - 4 Zoll, ,,sie (Anmerkung: die schwere Infanterie) recrutirt sich daher nur im äußersten Nothfalle mit 3-zölligen Leuten, sehr ungern mit 4-zölligen, gewöhnlich geht sie mit 5 Zoll aus und weiter hinauf, so groß als sie nur immer Leute bekom­men kann". Seines Erachtens sollten sich die Grenadiere, Kürassiere und Dragoner aus Soldaten mittlerer Größe von 5 bis 8 Zoll zusammensetzen, für die leichte Infanterie und Kavallerie (Husaren und Bosniaken) betrachtete er hingegen ,,junges, rasches Volk von 3 bis 5 Zoll ... am brauchbar­sten" (Mindestgröße für Füsiliere: 2 1/2 Zoll). Hinsichtlich des Personals für die Artillerie widerspricht Streit nach­drücklich dem Vorurteil, dass für die Artillerie kleinwüchsige Rekruten ausreichend sind, vielmehr verlangt er Ersatz, der grundsätzlich 4 - 7 Zoll groß ist (Mindestgröße für Artilleri­sten: 4 Zoll) und aufgrund der körperlichen Anforderungen bei dieser Waffengattung soll sogar ein „geringer Teil aus Leuten von 7 - 10 Zoll bestehen". 

Bewertung

Vor diesem Hintergrund wird die Bedeutung des Faktors Körpergröße offenbar, und die genaue Kontrolle des Maßniveaus der Regimenter und die steten königlichen Ermahnun­gen zur Verbesserung der „Maaß-Balance" verständlich; handelte es sich hierbei doch nicht um die Marotte zweier Herrschergestalten, sondern um die Quintessenz der altpreu­ßischen Armee, nämlich um deren Schlagkraft und damit um  Sein  oder  Nichtsein  des  künstlichen  Gebildes ,,Preußen".  

Fußnoten:

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