Anmerkungen zur Körpergröße des altpreußischen Soldaten - taktischer Hintergrund, Anforderungen und Praxis
Der Aufsatz wurde ursprünglich veröffentlicht in: Zeitschrift für Heereskunde, Nr. 354 März/April 1991, S. 43 ff.
Das Phänomen der Jagd nach "Langen Kerls"
In den Augen der Zeitgenossen und auch der nachfolgenden Generationen wird das Image der altpreußischen Armee vor allem durch die intensive „Jagd" von Werbekommandos nach „Langen Kerls" und den daraus resultierenden Werbeexessen im In- und Ausland belastet. Initiator dieser intensiven Suche nach großgewachsenen Menschen war König Friedrich Wilhelm I. (1713 - 40). Dieser ob seiner „Gigantomanie" häufig belächelte oder gar verspottete Monarch fasste die Anwerbung großer Leute durch andere Fürsten als Schikane auf und riskierte für seine Vorliebe für übergroße Rekruten sogar diplomatische Verwicklungen.
Der Faktor Körpergröße als Auswahlkriterium unter König Friedrich Wilhelm I.
Umso interessanter ist es einmal, die Motive für die besondere Beachtung des Faktors ,,Körpergröße'' und die entsprechende Praxis en detail auszuleuchten. Schon unter König Friedrich I. hatte die Körpergröße des Soldaten Beachtung gefunden, aber erst unter König Friedrich Wilhelm I. wurde das Maß neben der Exerzierfertigkeit ein wichtiges Kriterium für die Wertigkeit einer Formation und war bei den jährlich stattfindenden, die Exerzierzeit abschließenden Revuen Gegenstand des Interesses. Das Mindestmaß war vorgegeben, es betrug 5 Fuß 6 Zoll 1. Friedrich Wilhelm I. fixierte das Minimum der Anforderungen für das 2. Glied auf 6 Zoll, hingegen durfte das 1. Glied „bei einer schlechten Kompagnie Infanterie, die doch noch passieren kann" keine Leute unter 9 Zoll haben, wobei die Ansprüche an die seit 1723 formierten Füsilier-Regimenter ebenso wie an die Grenadiere (5 Zoll) etwas geringer waren 2. Im Jahre 1733 gab es in der 61 Bataillone zählenden Armee (ohne No. 6) nur 1.957 Soldaten, die unter 5 Fuß 6 Zoll groß waren. Die Regimenter Alt-Anhalt (No. 3) und Prinz Leopold (No. 27) wiesen sogar gar keine Soldaten unter 7 Zoll auf.
Der Faktor Körpergröße als Auswahlkriterium unter Friedrich dem Großen und Einzelbeispiele des Massgefälles bei der Infanterie
Auch unter Friedrich dem Großen behielt das Körpermaß als Qualitätsmerkmal seinen Stellenwert, jedoch befahl er am 24. VI. 1740, dass es „auf die Flügelleute so sehr nicht mehr ankommen solle". Die Rekruten für die ab 1740 neu errichteten Füsilier-Regimenter sollten nicht größer sein als 6 - 7 Zoll, als Minimum wurde 5 1/2 Zoll festgelegt. In seinem politischen Testament von 1752 forderte der König: ,,In den alten Infanterieregimentern wollten wir keinen Mann im ersten Glied unter 5 Fuß 8 Zoll und im zweiten unter 6 Zoll, gut gemessen haben. Die Regimenter, die ich geschaffen habe, haben in allen Gliedern ein Zoll weniger als die alten, aber die aus Schlesien gleichen sich ein wenig den alten Korps an'' 3 und wiederholte diese Vorgabe im Jahre 1768: ,,Ich wollte gern, daß die alten Regimenter bei sechs Zoll enden und die neuen nicht unter fünf Zoll heruntergehen" 4.
Die Verluste des Siebenjährigen Krieges und der minder wertigere zum Teil sehr junge Ersatz der letzten Kriegsjahre 5 bedingten einen Rückgang des Maßniveaus, was die Gegenüberstellung der Maße in der vorstehenden Tabelle aus den Jahren 1756 und 1762 (No. 19) und 1764 (No. 18) belegt. So war in der Armee das Bestreben allgemein, die durchschnittliche Körpergröße der Soldaten im Zuge der Reorganisation nach dem Friedensschluss zu Hubertusburg im Jahre 1763 wieder anzuheben. Als Ergebnis dieser Bestrebungen konnte Friedrich der Große festhalten: ,, ... die Armee (gewann) von Jahr zu Jahr an Körpergröße und 1773 gab es in der Infanterie keine Kompanie mehr, deren Soldaten unter 5 Fuß 5 Zoll maßen".
Zur Situation bei der Kavallerie
Die Kavallerie musste sich unter Friedrich Wilhelm I. „ebenso großer Mannschaft befleißigen" (Seckendorf an Prinz Eugen, 1725), immer wieder betonte König Friedrich Wilhelm I., daß „die Rittmeister besser werben müssen". Die Reglements für die Kürassiere und Dragoner von 1743 beschränkten sich auf das Gebot, keine Leute unter 6 Zoll anzuwerben, die Regimenter sollten aber lediglich ihren Abgang ersetzen und sich nicht vergrößern 6.
Später fixierte man als Minimum für die Kavallerie 5 und als Maximum 8 Zoll. Bei den Husaren war die körperliche Größe unbedeutend, ,,... aber man muß auf das Alter sehen und darf keine Kinder in den Regimentern dulden" 7. Die Mindestanforderungen an die Neuzugänge für die Artillerie waren mit 4 Zoll festgelegt, Leute von 11 Zoll und mehr sollten nicht mehr angeworben werden. Nach dem Reglement für die ausländische Werbung vom 1. II. 1787 sollte die Größe nicht unter 5 Fuß 5 Zoll, ausnahmsweise 4 Zoll, Füsiliere und Husaren 5 Fuß 3 Zoll betragen. Bei der Kavallerie sollte die Größe der Soldaten die Größe von 9, bei den Husaren von 7 Zoll nicht überschreiten.
Offizielle Vorschriften und Vorgaben zur Körpergröße als Auswahlkriterium
Nach dem Infanterie-Reglement von 1743 sollten sich die Offiziere bemühen, ,,8-, 9- und 10-zöllige Leute anzuwerben" 8. Die Handgelder waren der Körpergröße der Aspiranten gemäß gestaffelt und erreichten bei entsprechender Körperlänge des von den Werbeoffizieren umworbenen Anwärters auf den königlichen Rock immense Höhen. Friedrich der Große legte allerdings für die Handgelder eine verbindliche Obergrenze fest, denn im Wettbewerb um „tüchtige und gute Leuthe" überboten sich die einzelnen Regimenter manchmal untereinander. An die Gardeeinheiten (No. 6 und später No. 15 I, II/ III) mussten die Regimenter alljährlich großgewachsene Rekruten abgeben, die Unkosten wurden ersetzt. Die Rekruten für die Garde sollten nicht unter 9 Zoll groß sein. Aus der Zwangssituation heraus, anlässlich der jährlich stattfindenen Besichtigung durch den König bzw. den Generalinspekteur „gute Regimenter" und „gute Compagnien an Mannschaft in guter Ordre" vorzuführen, resultierte die Fortdauer der leidvoll bekannten Exzesse bei der Auslandswerbung. Selbst wenn die Bestimmungen des Reglements den Kompanie-Inhabern auferlegten, ,,hübsche Leute ohne Klagen und Gewaltthätigkeiten mit guter Manier" anzuwerben, bestand doch auf der anderen Seite ein beinahe existenzieller Leistungsdruck - und das Reglement ließ hierüber keine Zweifel: ,,Wann die ... Obristen gute Regimenter und die Compagnien an Mannschaft in guter Ordre vorführen werden: Alsdann selbige bey Sr. König!. Majestät sich bestens recommendiren werden: Im Gegentheil diejenigen, welche schlechte Regimenter und Compag nien haben, auf das allerübelste sich recommendiren wer den. Die Chefs und Commandeurs der Regimenter sollen die Capitaines anhalten, daß sie ihre Compagnien allezeit in gutem Stande halten und, wann unter einer Compagnie incapa bles Leute sind, solche ausrangiret und in deren Platz andere tüchtige Leute angeworben werden. Absonderlich die Chefs und Commandeurs der Regimenter diejenigen Capitaines, welche schlechte Compagnien haben, dazu anhalten müssen, daß sie von Jahr zu Jahr ihre Compagnien, so viel möglich, verbessern" 9.
Taktischer Hintergrund, Anforderungen und Praxis der Maßlisten
,,Im Frühjahr, sobald die Beurlaubten eingekommen" waren, wurden die Soldaten unter Berücksichtigung von Neuzugängen gemessen und „von dem Chef vom Regiment auf einem Rangier-Brett in einem Gliede von der rechten nach der linken, nach Schultern und Köpfen rangiret". Die einzelnen Kompanien sollten stets „rangiret" sein und Aus fertigungen der entsprechenden Rangierrollen mußten der Kompaniechef, Regimentchef, Regimentskommandeur und die Majors besitzen. Die rangierten Angehörigen einer Kom panie formierten drei Glieder, wobei „die Größten ... ins lte Glied, die folgenden ins 3te Glied, und die Kleinsten ins 2te Glied gestellet wurden" 10. Aus der Auswertung der ein zelnen Rangierrollen ergaben sich die Werte für die einzu reichenden Maßlisten.
Seit dem Jahre 1730 mussten die Regimenter alljährlich exakte Maßlisten einreichen und die Entwicklung des Maßniveaus wurde genau verfolgt. Am 6. VII. 1730 schrieb Friedrich Wilhelm I. an den Regimentskommandeur des „v. Ludwigschen Regiment" (No. 7): ,,Mein lieber Generalmajor. Ich schicke Euch hiebey ein gesiegeltes Maaß. Darnach sollet Ihr jeden Soldaten des Regiments messen lassen, sonder Schue, und muß der Kerl auff ein gerades Brett stehen, und die Füße dichte zusammen halten. Nach dem befundenen Maaße sollet Ihr Mir also den lten September dieses Jahres, eine pflichtmäßige Liste von der rechten Größe der Leute schicken, so wie beykommendes Schema lautet, und soll diese Liste in eben so ein kleines Buch geschrieben wer den, daß auff jeder Seyte eine Compagnie zu stehen komme, wie Ihr denn auch dasselbe hinten mit Eurer Unterschrifft und Siegel attestiren, und Mir davor pflichtmäßig repondi ren müsset. Die Maaße soll bey dem Regiment verwahret und allemahl darnach gemessen werden. Ich bin Euer wohlaffectionirter König Friedrich Wilhelm" 11.
Ähnliches erfährt man in einer Ordre an den späteren Generalfeldmarschall Friedrich Leopold Graf v. Geßler: „Ich will, daß Ihr nunmehr Mir sofort die Maaß Liste von der Größe des Regiments, und zwar nach Meinem geregelten Maaß, Baarfuß gemessen, in Form eines Kleinen Büchelgens einschicken sollet" 12. War das Bild, welches die einzureichende „Rangier Rolle" bot, nicht zufriedenstellend, kam die königliche An twort aus Potsdam prompt; so schreibt König Friedrich Wilhelm 1. am 3. V. 1731 „an den Obristen v. Plotho vom Ludwigschen Regiment" (No. 7): ,,Mein lieber Obrister von Plotho, Ich habe die von Euch eingeschickte Rangier-Rolle des Ludwig'schen Regiments erhalten, und finde darin, daß Compagnien seyn, die in den ersten Zuge mehrentheils 9 Zol lichte aber wenig oder gar keine 11 Zollichte Kerls haben. Es sollen also im ersten Zuge 11 Zollichte und darüber danebst auch gute Flügel-Männer angeworben werden und müssen die ersten Züge alle wenigstens von 11. 9. und 10. Zollichten Leuthen seyn. Der Obrist-Lieut. v. Mylen und Capitain Kappel haben auch noch so kleine Leuthe, dahero sich solche angreiffen (anstrengen) und die Compagnie in beßern stand bringen müssen ..." 13. Als dem General-Lieutenant Georg Friedrich Heinrich von Borcke das Regiment No. 29 (1723-40 Wesel, später Breslau) verliehen wurde, verband der König dies mit der Aufforderung: ,,Ich habe zu Euch das Vertrauen, Ihr werdet dieses Regiment nicht allein in gutem Stand erhalten, sondern auch mehr und mehr zu verbessern geflissen sein" (Schreiben vom 23. V. 1736), hatte aber wenige Jahre später Anlass zur Kritik: ,, ... soll die Kompagniechefs dazu anhalten, besser zu werben, da sie wenig oder gar keine Flügels, auch in dem ersten Gliede noch viel 8 Zölligte haben, so müssen sich selbige sämtlich Besser angreifen und mehr Leuthe von 6 Fuß, auch 11 Zoll anwerben, Es ist schon ein Jahr nach der Revue mehrentheils vorbey, derhero die Capitains fleißig darauf arbeiten müssen um die Flügels in Stande zu bringen ..." 14.
Königliche Reaktionen bei Nichterfüllung der Vorgaben
Auch König Friedrich der Große richtete sein Augenmerk auf das „Maaß" der Truppe und konnte im Falle eines ungenügenden Ergebnisses im Ton recht scharf werden: ,,Wann Ihr Mich nun ferner zum Freunde haben wollet, so müsset Ihr nunmehr die Anstalt machen, daß das Regiment bald wieder in guthen Stand kommen, wann solches nicht ge schieht, wir uns verzürnen werden" (Schreiben aus dem Jahre 1742 an den o. g. General-Lieutenant von Borcke). Als derselbe um seine Dimission einkam, antwortete der König im gleichen Jahr: ,,Ich habe Euer Schreiben vom 24. dieses, worin Ihr um Eure Dimission ansuchung gethan, erhalten. Es soll Euch solche unversaget seyn. Ihr müsset aber Euer Regiment erst wieder in guten Stand setzen und das erforder liche dazu anwerben. Worauf Ihr sodann den Abschied gleich bekommen sollt. Denn das Regiment zu ruiniren und hernach fort zu gehen ist keine Kunst" (Schreiben vom 30. VII.1742) 15.
Körpergröße als Qualitätsmerkmal bei Aus- und Inländern
Der Faktor Körpergröße spielte nicht nur bei der Anwerbung von Ausländern eine maßgebliche Rolle (Einfluss auf die Höhe des Handgeldes), sondern der besondere Stellenwert körperlichen Wachstums als Gradmesser der Tauglichkeit bestimmte ebenso den weiteren Werdegang der im Rahmen des kantonalen Wehrersatzsystems enrollierten Inländer. Die Körpergröße der Enrollierten entschied im Zusammenhang mit dem Bedarf des örtlich zuständigen Regiments darüber, ob der Kantonpflichtige eingestellt wurde oder nicht. Die Führung einer Kantonrolle, welche Namen und Körpergröße exakt dokumentierte, war verbindlich, ,,damit diejenigen, so die erforderliche Größe haben, von den Regimentern desto leichter eingezogen, und dagegen so viel kleinere Leute entlassen werden können ... '' 16. Enrollierte, die das 24. Lebensjahr vollendet, das Mindestmaß aber nicht erreicht hatten und auch kein weiteres Wachstum mehr versprachen, waren als untauglich zu entlassen 17. Diese Gruppe, die unter friedensmäßigen Bedingungen nicht eingezogen wurde, konnte aber unter Umständen (im Mobilmachungsfall) als Stück-, Proviant- oder Wagenknechte verpflichtet werden. Laut Resolution vom 15. IX. 1733 sollten dies Ausrangierte oder „in deren Ermangelung Leute von 5 Fuß oder 3 höchstens 4 Zoll sein 17. Das 1733 / 35 offiziell eingeführte Kantonsystem war eine allgemeine Wehrpflicht mit (zahlrei chen) Exemtionen und wurde bis 1806 durch die Ausländer werbung ergänzt. Die Befreiung von der Kantonpflicht fand aber stets dort ihre Grenze, wo beachtliches Wachstum den Eximierten in den Augen der Militärs besonders attraktiv für den Militärdienst werden ließ.
Einige wenige Beispiele mögen genügen: so waren zum Wohle der primär agrarisch strukturierten Wirtschaft „alle diejenigen eximiert, so mit Haus und Hof auf dem Lande angeseßen sind, wie auch deren einzelne Söhne", allerdings nur mit der Einschränkung: ,,es wäre denn, daß sie 5 Fuß und 10 Zoll groß wären" 18. Ferner wurde bestimmt, dass von mehreren Söhnen eines Hofwirtes nicht der älteste, sondern der kleinste (!) den Hof übernehmen, die übrigen aber Soldaten werden sollten 19. Wurde von einer zivilen Behörde ein vor der Einstellung stehender Kantonist wegen Unentbehrlichkeit reklamiert, war der Abschied kleiner Leute in der Regel unproblematisch, bei großen sollten die näheren Umstände erst genau recherchiert werden 20. Gelernte Jäger, eigentlich dem Feldjägerkorps vorbehalten, verfielen dem Kanton, wenn sie über 6 Zoll maßen 21. Seit kg!. Befehl vom 14. X. 1737 gehörten die Theologiestudenten zu den von der Kantonpflicht befreiten Berufsgruppen, erreichten diese aber eine körperliche Länge von 5 Fuß 9 Zoll und darüber, traten sie in die Dienstpflicht zurück 22. Zur Förderung der im Aufbau begriffenen einheimischen Wirtschaft waren schon früh ganze Arbeitergruppen eximiert, aber auch hier waren solche Arbeiter, die ein bestimmtes Körpermaß überschritten, von den Schutzbestimmungen ausgenommen 23. Den Magdeburgern Kaufleuten war ausnahmsweise gestattet, auch bereits Enrollierte als Lehrlinge einzustellen, vorausgesetzt, sie waren nicht größer als 5 Fuß 4 Zoll und ließen weiteres Wachstum nicht erwarten. Die Körpergröße war ebenso ein wesentliches Kriterium für die Entlassung bereits einrangierter Angehöriger wichtiger Berufe (Professionisten) in das Zivilleben 24.
Die Körpergröße entschied ferner über den sozialen Status der Kantonpflichtigen. Diejenigen, welche keine 5 Fuß 3 Zoll aufwiesen, unterstanden nach wie vor ihrer lokalen Patrimonial-, und nicht der Militärgerichtsbarkeit, was für die Betroffenen bedeutsame sozial-rechtliche Folgen hatte und einer Minderung ihrer gesellschaftlichen Position gleichkam 25. Im übrigen sollten sich die Regimenter sowie so bemühen, alle bereits eingestellten Soldaten unter 3 Zoll sobald als möglich zu verabschieden und durch größere Rekruten zu ersetzen. Die Überbetonung körperlichen Wachstums als Qualitätsmerkmal hatte sogar Einfluss auf die militärstrafrechtliche Praxis, denn „ wenn einmal ein diensttüchtiger großer Kerl durch eigene Schuld dem Dienst entzogen zu werden drohte, konnte er sicher sein, seiner Länge wegen, gnädig abzukommen, selbst bei großen Vergehen" 26.
Zum Ursprung der „Gigantomanie"
Über den historischen Ursprung der „Gigantomanie" lesen wir in den Denkwürdigkeiten des Generals von Pfau: ,,... der Markgraf Philipp und Feldzeugmeister in der Armee war der erste, welcher zu Soldaten große Leute suchte und bey seinem Regiment zu haben verlangte, ihm ahmte der Kronprinz (Friedrich Wilhelm 1.) und Fürst Leopold nach, und dieses pflanzte sich auf die übrigen Chefs fort, zu Soldaten nur große Leute in Dienst zu nehmen" 27. Das Motiv für die oft unverstandene, belächelte oder verurteilte intensive Suche nach „langen Kerls" war ein taktisches: je länger das Steinschlossgewehr (Füsil) ausfiel, umso größer war dessen wirksame Reichweite. Dies bedingte aber große Soldaten mit entsprechender Armspannweite. Um diesen Angelpunkt altpreußischer Überlegenheit im Felde wussten auch schon versierte Zeitgenossen: ,,Die Ursache, warum die Preußen große Leute zum Fussvolke nehmen ist nicht allein das Imposante des Anblicks, sondern auch, weil sie glauben, daß ein lan ger Mensch geschwinder lade, als ein kurzer" 28. Aber erst durch ein unermüdliches Exerzitium wurde die Feuerge schwindigkeit auf drei Schüsse in der Minute gesteigert und durch das längere Gewehr war eine wirksame Feuereröffnung bereits auf einer Distanz von 200 m möglich.
Zum Hintergrund der „Gigantomanie"
Wirtschaftskraft und Bevölkerungszahl des altpreußi schen Staates zogen der Heeresstärke Grenzen, so daß be sondere Qualität die mangelnde Quantität ersetzen mußte, und der Erfolg der altpreußischen Infanterie unter dem Kommando des Feldmarschalls Curt Christoph Graf von Schwerin (1684 - 1757) in dem Treffen bei Mollwitz (10. IV. 1741) bestätigte das Werk des Heeresschöpfers Friedrich Wilhelm I. und seines Vertrauten und Beraters Leopold von Anhalt-Dessau (1676 - 1747). In seinem Politischen Testament aus dem Jahre 1752 führt Friedrich der Große noch ein weiteres Argument für die besondere Bedeutung der Körpergröße bei der Rekrutierung von Ersatzmannschaften an: ,,Diese hohe Statur ist notwendig; die Männer, die sie haben, sind stärker als die anderen, und keine Truppen der Welt könnte ihnen widerstehen; wenn sie mit aufgepflanztem Bajonett angreifen" 29.
Kritische - zeitgenössische - Stimmen
Die überzogene Vorliebe für große Soldaten wurde bereits von kundigen Militärs der Zeit durchaus kritisch gesehen. So warnte der später wegen der Kapitulation von Maxen in Ungnade gefallene Generallieutenant Friedrich August von Fink in seinen „Gedanken über militärische Gegenstände" (1788) vor der Einstellung zu kleiner, aber auch zu großer Soldaten: ,,Die, welche sechs Fuß und mehr haben, halten wegen ihrer eigenen Größe und Schwere die Beschwerlichkeiten des Feldzuges nicht aus, besonders werden sie bei starken Märschen gar bald marode, und sind also mehr zur Parade als zum Nutzen, hingegen sind die unter sechs Zoll zu schwach, und nicht im Stande die gehörige Feldequipage zu tragen". Als Infanteristen idealer Größe betrachtete er Leute von 5 Fuß 6 - 10 Zoll. Kavalleristen sollten 5 Fuß 6 - 9 Zoll groß sein, da „gar zu schwere Leute die Pferde sehr drücken". In seinen „Denkwürdigkeiten" äußert sich auch Lossow zu diesem Thema: ,,Bekanntlich sah man damals und bis zum Jahr 1806 sehr auf die Größe der Leute, und die Mißgriffe, welche hieraus entstehen mußten, sind bekannt. Wenn es nun aber auch irrig ist, zu glauben, daß nur ein großer Mensch ein brauchbarer Soldat seyn kann, so ist doch auch ausgemacht, daß zu Ertragung großer Fatiguen eine gewisse körperliche Größe und Stärke, so wie ein gewisses Alter nöthig, und vorzugsweise als brauchbar zu betrachten ist ... " 30.
Streit 31 bestätigt in der im Jahre 1800 erschienenen „Militairischen Encyklopädie" die fundamentale Bedeutung der Körpergröße für die Handhabung des Steinschloßgewehres und fordert deshalb eine Mindestgröße der Rekruten von 3 - 4 Zoll, ,,sie (Anmerkung: die schwere Infanterie) recrutirt sich daher nur im äußersten Nothfalle mit 3-zölligen Leuten, sehr ungern mit 4-zölligen, gewöhnlich geht sie mit 5 Zoll aus und weiter hinauf, so groß als sie nur immer Leute bekommen kann". Seines Erachtens sollten sich die Grenadiere, Kürassiere und Dragoner aus Soldaten mittlerer Größe von 5 bis 8 Zoll zusammensetzen, für die leichte Infanterie und Kavallerie (Husaren und Bosniaken) betrachtete er hingegen ,,junges, rasches Volk von 3 bis 5 Zoll ... am brauchbarsten" (Mindestgröße für Füsiliere: 2 1/2 Zoll). Hinsichtlich des Personals für die Artillerie widerspricht Streit nachdrücklich dem Vorurteil, dass für die Artillerie kleinwüchsige Rekruten ausreichend sind, vielmehr verlangt er Ersatz, der grundsätzlich 4 - 7 Zoll groß ist (Mindestgröße für Artilleristen: 4 Zoll) und aufgrund der körperlichen Anforderungen bei dieser Waffengattung soll sogar ein „geringer Teil aus Leuten von 7 - 10 Zoll bestehen".
Bewertung
Vor diesem Hintergrund wird die Bedeutung des Faktors Körpergröße offenbar, und die genaue Kontrolle des Maßniveaus der Regimenter und die steten königlichen Ermahnungen zur Verbesserung der „Maaß-Balance" verständlich; handelte es sich hierbei doch nicht um die Marotte zweier Herrschergestalten, sondern um die Quintessenz der altpreußischen Armee, nämlich um deren Schlagkraft und damit um Sein oder Nichtsein des künstlichen Gebildes ,,Preußen".
Fußnoten:
- 1. 1 preußischer oder rheinischer Fuß entspricht: 0,314 m und zerfällt in 12 Zoll. 1 Zoll besteht aus 12 Linien (Striche). Das genannte Mindestmaß betrug demnach: 1,73 m.
- 2. Ziffern 5, 6 und 7 der ,,Disposition und Ordre Wornach die König!. Preuß. Infanterie-Regimenter vom dato d. I. Oc tober 1732 wegen der Werbung sich zu verhalten haben sollen".
- 3. Politisches Testament von 1752, vgl. Dietrich, Die Politischen Testamente der Hohenzollern, München 1981, S. 224.
- 4. ebd., S. 296.
- 5. Archenholz, Gesch. des Siebenjährigen Krieges, S. 400. Tempelhof berichtet von 15-jährigen Rekruten, die 1762 bei der Belagerung von Schweidnitz ihren Dienst tun (Derselbe, VI. S. 189).
- 6. ,,Reglement Vor die König!. Preußische Cavallerie Regimenter" von 1743, Theil VIII, Tit. V, Art. 1., II. & III., S. 28 und „Reglement Vor die König!. Preußische Dragoner Regimenter" von 1743, S. 485.
- 7. Politisches Testament von 1752, vgl. Dietrich, S. 224, vgl. auch: ,,Reglement Vor die König!. Preußische Husaren Regimenter" von 1743, S. 310. Als Beleg für die geringe Bedeutung des Massgefälles bei den Husaren-Regimentern wird auf die für H 8 überlieferten Angaben verwiesen: im Jahre 1773 hatte das Regiment u. a. 2 Mann von 10 Zoll, 101 Mann von 7 Zoll, 325 Mann von 5 Zoll, 457 Mann von 4 Zoll und 24 Mann von 2 Zoll (Schöning, Gesch. des Kg!. Pr. 5 Husaren-Rgts., S. 120). Um 1784 befanden sich in diesem Regiment nur 7 Mann von 9 Zoll, aber 476 4-zöllige Soldaten. Die Leibeskadron ging zu diesem Zeitpunkt mit 3 Zoll aus (Ebd., S. 155).
- 8. Reglement Vor die König!. Preußische Cavallerie Regimenter" von 1743, Theil VIII, Tit. V, Art. 1., II. & III., S. 28 und „Reglement Vor die König!. Preußische Dragoner Regimenter" von 1743, S. 485.
- 9. Politisches Testament von 1752, vgl. Dietrich, Die Politischen Testamente der Hohenzollern, München 1981. , S. 224, vgl. auch: ,,Reglement Vor die König!. Preußische Husaren Regimenter" von 1743, S. 310. Als Beleg für die geringe Bedeutung des Maßgefälles bei den Husaren-Regimentern wird auf die für H 8 überlieferten Angaben verwiesen: im Jahre 1773 hatte das Regiment u. a. 2 Mann von 10 Zoll, 101 Mann von 7 Zoll, 325 Mann von 5 Zoll, 457 Mann von 4 Zoll und 24 Mann von 2 Zoll (Schöning, , K. W. v., Geschichte des Königlich Preußi schen Fünften Husaren-Regiments ..., Berlin 1843, S. 120). Um 1784 befanden sich in diesem Regiment nur 7 Mann von 9 Zoll, aber 476 4-zöllige Soldaten. Die Leibeskadron ging zu diesem Zeitpunkt mit 3 Zoll aus (Ebd., S. 155).
- 10. ,,Reglement Vor die Königl. PreuBfsche Infanterie" von 1743, S. 8. Ehemals erfolgte die Rangierung und die Chargierung in vier Gliedern (Reglement von 1714, S. 7). 1718 war schon eine dreigliederige Aufstellung für den Kampf vorgesehen (Jany, Geschichte I. S. 818). Auch 1726 erfolgte die Rangierung in vier (Reglement von 1726, S. 7), aber die Chargierung in drei oder vier Gliedern. ,, Wenn die Armee mit dem Feinde Batailliren" sollte, wurde sie in „2 Linien, und die Bataillons 3. Mann hoch gestellet" (ebd., S. 358). Erst das Reglement von 1743 schrieb auch eine Rangierung in drei Gliedern vor (S. 8), Grundlage hierfür war eine Ordre vom 20. VI. 1742 (Jany, Geschichte, II. S. 74).
- 11. König, Kurzgefaßte Regierung und Staatsgeschichte Friedrich Wilhelm des 1. Königs von Preußen. Vom Jahr 1713 bis 1740, Berlin 1793, Bde. 1. - II., Band I., S. 197.
- 12. Priesdorff, Geßler, Hamburg 1943, S. 33/34.
- 13. Militärwochenblatt (1894) S. 2279.
- 14. Schreiben vom 8. V. 1739, Priesdorff, Soldatisches Führertum, I. S. 189.
- 15. ebd., No. 29 war eines der Weseler Füsilier-Regimenter, die offensichtlich auf den allgemeinen Stand gebracht wer den sollten.
- 16. Ziffer 1 der „Instruction, welcher gestalt bey der Revision der Cantons verfahren werden soll" vom 20. IX. 1763.
- 17. Ordre an die Regimenter über Ausstellung von Trau scheinen und Entlassung untauglicher Enrollirter" vom 28.II.1736.
- 18. Schmidt, Der Werdegang des Preußischen Heeres, Berlin 1902 (Nachdruck Krefeld 1975), S. 128, auch: Reglement von 1743, S. 573; und „Ordre an alle Regimenter, daß alle angesessene Bürger und Bauern von der Werbung frey seyn sollen" vom 11. I. 1743.
- 19. Schmidt, P. v., Der Werdegang des Preußischen Heeres, Berlin 1902 (Nachdruck Krefeld 1975), S. 138, galt offenbar nur für die Provinzen; die kein Anerbenrecht kannten, vgl.: Faull, Betrachtungen zur Entwicklung der Wehrpflicht in Brandenburg-Preußen von 1500 - 1814, Diss. Rostock 1939, S. 30.
- 20. Ziffer 6 der „Instruction welchergestalt bey der Revision der Cantons verfahren werden soll" vom 24. X. 1764.
- 21. Kopka v. Lossow, Geschichte des Grenadier-Regiments König Friedrich 1. (4. Ostpreußisches) Nr. 5, II. Bd. Zeitraum von 1713 bis 1815, Berlin 1901., S. 106 / 107.
- 22. Notification an das Consistorium, daß alle Predigers Söhne, so Theologiam studiret, von der Enrollirung frey seyn, und ihnen die Pässe abgenommen werden sollen" vomX. 1737 und Kopka v. Lossow, II., S. 47; siehe auch kgl. Befehl vom 14. X. 1737 an General-Major von Linger (Schöning, K. W. v., Historisch-biographische Nachrich ten zur Geschichte der Brandenburgisch-Preußischen Artil lerie, Bde. I. - III., Berlin 1844-45., l., S. 423).
- 23. Hinze, K., Die Arbeiterfrage zu Beginn des modernen Kapitalismus in Brandenburg-Preußen 1685 - 1806, Berlin 1963, S. 123.
- 24. ebd., S. 222 / 225.
- 25. Vgl. u. a.: Hans Bleckwenn, Bauernfreiheit durch Wehrpflicht - ein neues Bild der altpreußischen Armee, in: Militärgeschichtl. Forschungsamt (Hrgb.), Friedrich der Große und das Militärwesen seiner Zeit, S. 55 ff. (Herford, Bonn 1987).
- 26. Kopka v. Lossow, Geschichte des Grenadier-Regiments König Friedrich 1. (4. Ostpreußisches) Nr. 5, II. Bd. Zeit raum von 1713 bis 1815, Berlin 1901., II., S. 50.
- 27. Haeckel, S. 94.
- 28. Berenhorst, G. H. v., Betrachtungen über die Kriegskunst, Leipzig 1827., S. 293. In einem hannoverschen Aktenstück des Jahres 1760 finden wir diesen Umstand auch von offizieller Seite konkret angesprochen: ,,... denn ein kleiner Mann nicht leicht das lange Gewehr laden. könne" (Beihefte zum Militärwochenblatt (1904) S. 384).
- 29. Diese Feststellungen entsprechen zwar dem optischen Eindruck hochgewachsener Soldaten, aber nicht der Tatsache, dass untersetzte Männer in der körperlichen Leistung besser ausdauern. So bleibt die Hauptsache großer Leute Form doch die Armspannweite, also höhere Ladegeschwindigkeit.
- 30. Lossow, Denkwürdigkeiten zur Charakteristik der preußischen Armee unter dem großen König Friedrich dem Zweiten. Aus dem Nachlasse eines alten preußischen Offiziers. Glogau 1826., S. 13/14.
- 31. Streit, Militärische Encyklopädie für künftige Offiziere, besonders für Preußische, Berlin 1800, S. 149 ff., der Verfasser war Secondelieutenant beim Feldartilleriekorps.