Fürsorgemaßnahmen für Soldatenfrauen und -kinder in der altpreußischen Armee
Der Aufsatz wurde ursprünglich veröffentlicht in: Zeitschrift für Heereskunde, Nr. 328 November/ Dezember 1986, S. 139 ff. S. 139 ff.
Einleitung - die soziale Wirklichkeit des Soldaten ist Teil der Militärgeschichte
Zur Militärgeschichte gehört nicht nur die inhaltliche Beschäftigung mit dem Aufbau und der Gliederung der jeweiligen bewaffneten Macht, mit Fragen der Taktik, Ausbildung, der Uniformierung, der Ausrüstung und das Studium kriegsgeschichtlicher Ereignisse und einzelner Biographien militärischer Führungspersonen, sondern zu einen umfassenden Verständnis des Militärs als Einrichtung gehört auch die Beschäftigung mit dessen Verhältnis zur Gesellschaft sowie weitere sozialgeschichtliche Fragestellungen, z. B. zur sozialen Wirklichkeit des Soldaten. Zu dieser sozialen Wirklichkeit des Soldaten gehörten (und gehören) auch die Existenzbedingungen der Militärangehörigen1.
Vor den Hintergrund dieser Aufgabenstellung soll an dieser Stelle die Situation der Soldatenfrauen - und -kinder (der Mannschaften) in der altpreußischen Armee gedacht werden, insbesondere sollen die (staatlichen) Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensverhältnisse dieser in der Geschichte stets von materieller Armut bedrohten Personengruppe vorgestellt werden2.
Anteil der Militär- an der Gesamtbevölkerung
Will man jedoch die Palette der entsprechenden Fürsorgemaßnahmen hinreichend würdigen, ist zunächst der zahlenmäßig beträchtliche Anteil der Militär- an der Gesamtbevölkerung zu betonen; nur vor dem Hintergrund dieses Zahlenmaterials wird die große soziale Herausforderung deutlich, welche die große Gruppe der Soldatenfrauen und -kinder für den altpreußischen Staat und dessen materiell beengten Haushalt bedeutete.
Kennzeichnend für die Regierungsperiode Friedrich Wilhelms 1. war ein überproportionales Anwachsen des Heeres, so wurde dasselbe von 39947 (Februar 1713) auf 81034 Mann (Juni 1739) verstärkt3. Im März 1777 zählte das alt preußische Heer bereits 202806 Mann. Zum Militär, als gesellschaftlich, aber auch als organisatorisch und rechtlich in sich abgeschlossene Gruppe, gehörten neben den eigentlichen Kombattanten auch die Angehörigen des Unterstabes, die Bedienten der Offiziere und vor allem die Soldatenfrauen und -kinder. Die Soldatenfrauen und -kinder unterstanden - wie auch das Offiziergesinde - der Militärgerichtsbarkeit. In Relation zur Gesamtbevölkerung machte das Militär im Preußen des 18. Jahrhunderts einen bedeutenden Anteil aus. Nach Schmoller war Preußen 1740 an Flächeninhalt der zehnte, an Einwohnerzahl der dreizehnte, nach der Stärke der stehenden Armee aber der dritte oder vierte Staat in Europa. Entsprechend groß war die Zahl der Soldatenfrauen und -kinder. Süßmilch folgend, war die Hälfte der garnisonierten Soldaten verheiratet und zu den 200000 Soldaten gehörten 300000 Soldatenfrauen und -kinder. Küster teilt mit, dass auf 1000 Soldaten durchschnittlich 500 Kinder kamen und 1776 wurde je Infanterie-Regiment die Zahl der Ausmarsch der Truppen zurückbleibenden Frauen auf Kürassier- und Dragoner-Regiment auf 300 und je Regiment auf 500 geschätzt.
Einzelne Beispiele zum Anteil der "beweibten" Soldaten mit entsprechenden Nachwuchs auf Regimentsebene
Formation Jahr Unteroffiziere Feldscher* Spielleute Gemeine Kinder
Infanterie |
| insges.* | verh. | insges.* | verh. | insges.* | verh. | insges.* | verh. | Söhne | Töchter |
No. 10 | 1751 |
| 76 |
|
|
| 23 |
| 978 | -989 | 936 |
No. 4 | 1756 |
|
|
|
|
|
| 1420 | 500 |
|
|
No. 10 | 1766 |
| 87 |
| 12 |
| 18 | 1494 | 970 |
| 1371 |
No. 5 | 1771 | 118 | 89 | 13 |
| 48 | 10 | 1494 | 762 |
|
|
No. 23 | 1781 | 118 | 90 |
|
| 48 |
| 1980 | 899** | 723 | 681 |
No. 8 | 1783 | 118 | 86 | 13 | 6 | 42 | 16 | 1774 | 828 | 799 | 782 |
Bei der Kavallerie waren die Verhältnisse ähnlich: zum Kürassier-Regiment von Rochow (K 8, Ohlau u. a.) zählten 1755 insgesamt 254 „Soldatenweiber", nämlich 163 An- und 91 Abwesende, ferner 345 Kinder, nämlich 224 Anwesende (116 Söhne und 108 Töchter) und 121 Abwesende (63 Söhne und 58 Töchter).
Beispiele für den zahlenmäßigen Anteil der Militärangehörigen in einzelnen Garnisonen
Nach Büsching4 gehörten im Jahre 1775 zur Berliner Gar nison neben 670 Offizieren, 2404 Unteroffizieren, 390 Spielleuten, 325 Angehörigen des Unterstabes und 23539 Gemeinen auch 10913 Soldatenfrauen mit 13572 Kindern (!). Auch in anderen Garnisonorten war das Militär zahlreich vertreten:
In Halle machte z. B. der komplette Einquartierungsstand 1738 2383 Mann mit 702 Frauen und 1748 2604 Mann mit 738 Frauen aus. 1795 zählte Halle 19780 Einwohner, wovon 2699 auf das Militär entfielen; 1801 waren es 21840 Einwohner einschließlich 2942 Militärpersonen.
Neuruppin (Gesamtbevölkerung: 3500) beherbergte zeitweise 1500 Soldaten. 1806 bestand die Garnison aus 2180 Mann, von denen 837 Dienst taten. 424 waren verheiratet und hatten 704 Kinder.
In Spandau wohnten 1784 4484 Zivil- und 2206 Militärpersonen. Unter der letzten Gruppe befanden sich 416 Frau en und 561 Kinder. Zwei Jahre später waren es 4605 Zivil zu 2209 Militärpersonen, hierunter 391 Frauen und 555 Kinder.
Stettin, welches 1740 12740 Einwohner hatte, erhielt durch das Militär einen Zuwachs von 4 - 5 000 Menschen, Magdeburg bei 19580 Einwohnern (1740) 5 - 6000 Menschen.
Das "Militärproletariat" als staatliche Herausforderung
Durch diese erstaunlich hohe Zahl von Soldatenfrauen und -kindern wurde der altpreußische Staat mit sozialpolitischen Problemen konfrontiert, denn der Unterhalt, die Unterbringung und der weitere Lebensweg insbesondere der Soldatenkinder konnten ihm nicht gleichgültig sein. Problematisch war vor allem die Unterbringung der Soldatenfamilien:
Seit 1714 garnisonierte die Infanterie in den Städten, die Kavallerie, zunächst auf dem flachen Lande gelegen, folgte 1721 unter Bevorzugung kleiner Landstädte nach. Die Soldaten lagen im Bürgerquartier, wobei vor allem die verheirateten Unteroffiziere und Gemeine für den Quartierwirt eine arge Belastung darstellten. Dessen waren sich sowohl Friedrich Wilhelm I. als auch Friedrich der Große bewusst, jedoch begann man erst nach dem Siebenjährigen Krieg verstärkt die verheirateten Mannschaften zu kasernieren. Eine königliche Anweisung vom 12. 09. 1767 befahl die Erstellung von Kasernen für die 7 in Berlin stationierten Infanterie-Regimenter. In Spandau, Nauen, Prenzlau, Frankfurt a. d. 0. und Königsberg verfuhr man ebenso. Jede Kaserne sollte 240 Mann aufnehmen, nach Jany je 48 Verheiratete und 192 Ledige. Vor 1763 gab es nur vereinzelt Kasernen, so in Magdeburg, Neiße und Neuruppin. 1774 wurde in Hamm der Bau einer Kaserne für das Infanterie Regiment von Wolffersdorff (No. 9) genehmigt, die neuen Kasernen in Potsdam (1774) sollten drei Etagen hoch gebaut werden. In Potsdam gab es seit 1753 eine Kaserne für die Leib-Eskadron des Regimentes Gardes du Corps (K 13), die ,,Reitende Exerzierbatterie" erhielt 1773 eine Kaserne. Mente beschreibt die Artilleriekaserne in Breslau. Die aus öffentlichen Geldern finanzierten Kasernen sollten den Bürger entlasten und schufen - allerdings nur begrenzten Raum für die „beweibten" Soldaten, waren aber bei den Soldaten nicht unbedingt beliebt und wurden von Zeitgenossen wie Berenhorst und Klöden mitunter schlecht beurteilt. Ein Nebeneffekt war, dass durch die Kasernierung sich die Soldaten besser überwachen ließen.
Unterbringung der Soldaten und Soldatenfamilien
Die Unterbringung in Bürgerquartieren wurde durch ein System von Quartier- und Einmietungsgeldern sichergestellt. Ersteres war der königliche Servis, d. h., die staatliche Entschädigung an den Quartierwirt für die Einquartierung und die damit verbundenen Naturallasten, gezahlt wurde sie aber nur für die Soldaten, die der Wirt über die ihm zugewiesene Anzahl hinaus aufnahm. Die Quartiergelder betrugen z. B. in der Stadt Burg für einen „beweibten" Sergeanten / Unteroffizier 1 Taler, 4 Groschen, für einen ledigen Sergeanten/ Unteroffizier 18 Groschen, für einen „beweibten" Tambour/ Gemeinen 20 Groschen und für einen ledigen Tambour / Gemeinen 10 Groschen. 1767 wurden diese Zahlungen aber reduziert, nunmehr erhielt man für einen „beweibten" Mann 12 Groschen und für einen ledigen 8 Groschen. Die Quartiergelder wurden der Serviskasse entnommen, die sich aus Staatsmitteln, Akziseerträgen und in der Hauptsache aus Kommunalsteuern finanzierte. Neben den Abgaben an die Serviskasse hatten die Bürger auch ihr Quantum an Einquartierung und Naturallasten zu tragen. Auch das Gewerbe und die Landwirtschaft leisteten durch Portionssteuern ihren Beitrag an dem Aufkommen der Serviskasse. Die Soldatenfrauen wurden „bey der Einquartierung ihren Männern gleich geschätzet", hatten aber „Licht, Holz und Bette nicht besonders frey", sie konnten nur „Obdach und Lagerstatt mit ihren Männern" beanspruchen und erhielten nicht den königlichen Servis. ,,Wenn sie waschen und speisen", sollten sie ,,dem Wirthe nicht beschwerlich fallen".
War der Bürger dazu finanziell in der Lage, konnte er die zugeteilten Leute gegen Entrichtung entsprechender Gelder ausquartieren. Diese erhielten dann Einmietungsgelder, was ihr monatliches Salär erhöhte. Die Löhnung war kärglich und für den ledigen und „beweibten" Soldaten gleich bemessen. Letztere erhielten aber laufende oder einmalige Zulagen, was zur Fürsorge mittels geldbarer Leistungen überleitet.
Gewährung von Kindergeldern (Gnadengelder) und sonstigen Beihilfen
Nach Mente wurden die Soldatensöhne, welche dem Regiment „obligat" waren und in der Regel, sobald sie kräftig genug waren, in das Regiment ihrer Väter eintraten, aus Kompaniemitteln bekleidet; für die Söhne als auch für die Töchter wurden gleichermaßen sogenannte „Kindergelder" gezahlt. Nach Schnackenburg erhielten die Eltern von 2800 Kindern Erziehungsbeihilfen aus den Mitteln. des Potsdamer Militärwaisenhauses. Unter General von Rohdich, dem Gouverneur von Potsdam, wurden die Kindergelder von mtl. 4 auf 16 Groschen erhöht; eine Maßnahme, die für die gesamte Potsdamer Inspektion galt. Durch diese Maßnahmen versuchte man die finanziell prekäre Lage der verheirateten, oft kinderreichen Soldaten zu erleichtern. Neben laufenden Zahlungen sind auch einmalige Leistungen an diese Gruppe bekannt, so bestimmte ein Parolebefehl vom 30. 08. 1783, dass jede Eskadron des Dragoner-Regimentes Ansbach-Bayreuth (D V., Pasewalk u. a.) 6 Taler aus der Armenkasse erhalten sollte, um diese an „beweibte" Dragoner mit vielen Kindern zu verteilen. Es wurde aber vorsorglich betont, dass es sich hierbei nicht um ein Muss, sondern um eine Wohltat handelte.
Einige Parolebefehle aus dem Jahre 1751 berichten ebenso von solchen „Gnadengeldern":
„Es soll übermorgen eine Liste eingegeben werden an Graf Haack von den Weibern und Kindern, so voriges Jahr Geld empfangen haben, im Fall nun die Kompanien Abgang haben, so können sie wohl wieder eine andere in den Platz bringen, die sich in der Stadt aufhält, vor allen Dingen aber keine Auswärtige.
Am 13. 11. 1751 hieß es: ,,Es soll an der Weiber-Liste hinten der Abgang angezeigt werden, ob sie verheirathet oder gestorben seien, auch dabei das Quantum angezeigt werden, was sie vorn Jahr bekommen haben. Kinder von 14 Jahren und darüber bekommen nichts, als auch die Weiber, so sich wieder verheirathet haben.".
Die „Haupt- · Armenkasse" sollte „indessen eine mäßige Beihilfe leisten können". Vierteljährlich belasteten die Militärarmen das Armendirektorium in Hamm mit 236 Talern, 1 Groschen und 6 Pfennigen. Problematisch war stets die Mittelbeschaffung. Vor allem die Bettler machten der Stadt zu schaffen, eine Gruppe, unter der sich laut den Berichten des Magistrates auch Militärangehörige befanden. Deshalb forderte man staatliche Hilfestellung, verbot den Bürgern Bettlern etwas zu geben und verlangte ein Arbeitshaus, das dann 1801 tat sächlich eingerichtet wurde. Das soziale Problem der Bettler, Siechen und Elenden war das andere Gesicht der galanten Rokokozeit, doch damit war nicht nur der altpreußische Staat belastet, sondern alle und vor allem die geistlichen Staaten. Es war dies ein typisches Phänomen für eine Epoche, die zwar bereits die Wohlfahrt als öffentliche Aufgabe begriff, aber noch nicht über ein ausgefeiltes Sozialhilfesystem verfügte. Christlicher Aktivismus ganz im Sinne des Pietismus stimulierte im Preußen des 18. Jahrhunderts die sozialen Aktivitäten staatlicher und ziviler Kräfte: noch gab es keine staatliche Dominanz im Sozialbereich, kirchliches und privates Engagement unterstützten in erster Linie die Randgruppen der Gesellschaft, aber die Grundstrukturen eines staatlichen Fürsorgesystems hatte bereits Friedrich Wilhelm I. geschaffen. Wegweisend und stilbildend war und blieb das den Frank`schen Stiftungen zu Halle nachempfundene Militärwaisenhaus zu Potsdam.
Das Potsdamer Militärwaisenhaus
1722 wurde mit dem Bau des Potsdamer Militärwaisenhauses begonnen (Fertigstellung 1724), eine Einrichtung zur Unterbringung von Soldatenkindern (nicht nur Waisen!) mit teilweisem Berufsschulcharakter. 1725 wurde ein Mädchenhaus errichtet, in den Jahren 1751-55 folgte der Bau eines neuen Mädchenhauses. In der Zeit von 1724-86 beherbergte diese Anstalt:
Diese bedeutende Schöpfung des Soldatenkönigs, der Erziehung, Versorgung, Verpflegung und Ausbildung von Soldatenkindern gewidmet, war finanziell autark, denn seit 1734 waren dem Potsdamer Militärwaisenhaus die Einnahmen aus der Verwaltung des Lagerhauses übereignet worden, 1739 folgten die Einkünfte der Gold- und Silbermanufaktur in Berlin und des Alaunwerkes bei Freienwalde, sowie die Judenschutzgelder und das „ Tabaksgefälle".
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Soldatenfrauen und -kinder
Mittelbar zu den Fürsorgemaßnahmen für Soldatenfrauen und -kinder gehören die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Nicht nur die ausländischen Soldaten agierten als Freiwächter5 in der Wirtschaft, sondern auch deren Frauen und Kinder. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, ja Arbeitszwang war eine staatlich verordnete Alternative zur Verelendung und angesichts der geringen Löhnungssätze eine unabdingbare Notwendigkeit. Zwar verbesserten mtl. Zulagen die finanzielle Situation der „Beweibten", wie z. B. die vor genannten „Kindergelder", dennoch blieb das Niveau der Lebenshaltung bescheiden, ja ärmlich. Konnte oder wollte der Staat durch Erhöhung der Personalkosten den Staatshaushalt nicht noch mehr belasten, so musste er doch diese große Bevölkerungsgruppe vor gänzlicher Verarmung schützen. Es ist charakteristisch für die Hohenzollern, dass sie diese Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen mit der aufstreben den (Textil-) Wirtschaft eng verknüpften und das zur Verfügung stehende Arbeitspotential der bedürftigen Militärangehörigen voll ausschöpften; dadurch profitierte der entwicklungsbedürftige Agrarstaat und die öffentlichen Kassen wurden darüber hinaus noch entlastet. Ein großer Teil der Soldaten nebst Angehörigen arbeitete als Manufakturarbeiter und Tagelöhner, die Frauen und Kinder leisteten vor allem Hilfsarbeiten in der Textilindustrie. Ihr Nebenerwerb bestand in der Hauptsache aus dem staatlich befohlenen Spinnen von Wolle. Am 23.11.1751 wandte sich ein Parole" befehl an die Soldatenfrauen, welche „letztens" mit Gnaden-Geld bedacht worden waren, sie sollten nunmehr Wolle spinnen. Kamen sie dieser Aufforderung nicht nach, so drohte man, sie von der Bezugsliste zu streichen.
Am 03.09. 1752 wurde angeordnet, dass die Regimentskommandeure die Soldaten, Soldatenfrauen und -kinder zum Spinnen anhalten sollten. In einer Ordre vom 6. 6. 1763 an die Kommandeure der in Schlesien stehenden Regimenter hieß es, dass sie die Soldatenweiber und -kinder veranlassen sollten, von den Fabrikanten Wolle zum Spinnen zu holen. Andernfalls hätten die Fabrikanten den Kompaniechefs Spinnarbeit anzubieten; als Zwangsmittel diente auch hier die Drohung, die Servis- und Brotgelder zu entziehen. Bald glichen die Kasernen regelrechten Fabriken. Im damaligen Preußen gab es in der Folge viele Manufakturen, die zahllose Militärpersonen beschäftigten, vor allem Staatsbetriebe wie das Lagerhaus und die Königliche Porzellanmanufaktur in Berlin. Von Hinze werden aber auch Beispiele aus Breslau, Frankfurt a. d. 0. und Stettin genannt, Krüger führt aus Halle, Magdeburg und Schlesien (Glatz) weitere Exempel an. Zum einen wurden damit der bedeutenden Textilindustrie die not wendigen Arbeitskräfte zugeführt, zum anderen schuf der Staat für den notwendigen Nebenerwerb der Soldaten, Soldatenfrauen und -kinder entsprechende Arbeitsmöglichkeiten. Öffentliche Wohlfahrt, Selbsthilfe und Staatsinteresse gingen hier eine Symbiose ein, wenn auch die weit verbreitete, aus England und Holland stammende Kinderarbeit, schon von Zeitgenossen kritisiert wurde. Es handelt sich hierbei ebenso um ein staatlich sanktioniertes und gefördertes System.
So arbeiteten viele Kinder des Potsdamer Militärwaisenhauses in der Textilbranche. Die Jungen gab man nach der Konfirmation zu Meistern in die Lehre oder wies sie einzelnen Woll- und Seidenfabrikanten zu. Mädchen arbeiteten in der Brabanter Kantenklöppelei (ab 1749 wurde diese von den Schutzjuden Ephraim und Gumpertz betrieben), Goldund Silberklöppelei, Ausnähefabrik, Strohhutfabrik und in der sogenannten „Groben Nähestube". 1764 wurde eine Gold- und Silberdrahtzieherei für 30 Knaben eingerichtet. Auch in der Berliner Gold- und Silbermanufaktur waren Kinder aus dem Potsdamer Militärwaisenhaus tätig, ebenso in der Spandauer Gewehrfabrik (Splittgerber & Daum) und in der bereits erwähnten Königlichen Porzellanmanufaktur. In Neuruppin wurde 1780 neben der Garnison- auch eine Industrieschule begründet, 1796 kam eine Kanten Klöppelschule für Soldatentöchter, 1797 eine Wollstreicher schule hinzu. Die Spinnschule in Frankfurt a. d. 0. warf sogar jährlich 1500 - 1600 Taler Reingewinn ab. 1802 gründete General von Rüche! in Potsdam eine Arbeits- und Industrieschule. Grundsätzlich sollte Selbsthilfe öffentliche Unterstützung ergänzen, wenn nicht ersetzen. Nach Hinze starben infolge Überlastung jährlich 200 Zöglinge des Potsdamer Militärwaisenhauses, 3 - 400 Kinder waren dauernd krank. Aus diesem Grunde wurden 1779 400 Knaben zu Bauern auf das Land gegeben. Es bleibt aber hierbei zu beachten, dass die Kindersterblichkeit zu jener Zeit generell sehr hoch war, die allgemeinen hygienischen Zustände oft als sehr schlecht beschrieben werden und die Medizin noch keinen befriedigenden Standard erreicht hatte. Aus diesem Grunde waren sowohl Friedrich Wilhelm 1., als auch seine Nachfolger bemüht, das Niveau der Gesundheitsfürsorge zu heben.
Preisregulierung für Grundnahrungsmittel
Der Staat nahm Einfluss auf die Preise der Grundnahrungsmittel, nicht zuletzt, um für den sich selbst versorgen den Soldaten das Preisniveau erträglich zu halten. In den Garnisonen hatten sich in gemischten Kommissionen allmonatlich das Militär und die Lokalbehörden über die Preistaxen von Brot, Bier und Fleisch zu einigen6, sie mussten einen Kompromiss finden zwischen der Kaufkraft der Soldaten und dem Gewinnstreben der ansässigen Lebensmittelproduzenten, Händler und Kaufleute: ,,Die Taxe soll, nachdem das Korn und Vieh wohlfeil und theuer ist, bald höher bald geringer gemachet, auch so eingerichtet werden, daß die Soldaten und Bürger dabey bestehen, die Bürger Sr. König!. Majestät ihre Onera abtragen können, und die Soldaten nicht mehr, wie billig und recht ist, vor das Brod, Bier und Fleisch bezahlen dürffen". Das Militär überwachte ferner die angebotenen Nahrungsmittel in Bezug auf ihre Qualität und Quantität, denn die Verpflegung der Garnison musste gesichert sein. Staatliche Getreidemagazine regulierten durch einen Mechanismus von Auf- und Verkauf den Brot preis, verhinderten Preisverfall und Teuerung und katastrophale Auswirkungen schlechter Erntejahre. Davon profitierten auch die Militärangehörigen.
Schulische Unterrichtung z. B. in Regiments-Schulen
Ein weiterer Aspekt staatlicher Bemühungen um die grosse Gruppe der Soldatenfrauen und -kinder sind bildungspolitische Aktivitäten gewesen. Der Feldprediger hielt nicht nur mit den Gemeinen, sondern auch mit deren Frauen Katechismusexamen und Erbauungsstunden ab. Im Mittelpunkt der Tätigkeit des Feldpredigers standen zwar seelsorgerische Dienste, vor allem die sogenannten Ministerialhandlungen, wie z.B. Trauungen, Taufen usw., aber auch der Jugendunterricht war sein Metier. Die Einrichtung von Regimentsschulen war üblich, bei der Einrichtung der Soldatenkinderschulen beriet August Hermann Francke den Soldatenkönig. Bekannt sind u. a. die Regimentsschulen in Potsdam (Garnisonschule, 1721 gestiftet, 1787 reorgani siert), Berlin (Regimentsschulen des Kürassier-Regiments Gendarmes, K 10 und des Infanterie-Regiments von Pfuhl, No. 46), Neuruppin (Regimentsschule des Infanterie Regiments von Tschammer, No. 27, 1780 begründet), Treuenbrietzen (Schule des Stehenden Grenadier-Bataillons von Scholten, No. 1), Frankfurt a. d. 0. (Regimentsschule des Infanterie-Regiments Herzog Leopold von Braunschweig, No. 24), Spandau (Regimentsschule des Infanterie Regiments Prinz Heinrich von Preußen, No. 35) und in Hamm (Regimentsschule des Infanterie-Regiments von Wolffersdorff, No. 9). In der Potsdamer Schule erhielten 700 Soldatenkinder Unterricht, in Hamm waren es 80 Kinder. Letztere unterrichtete ein Schulhalter, der dafür von jedem Kompaniechef des Regiments mtl. 6 Taler erhielt. Der Feldprediger des Infanterie-Regiments Herzog Fr. Wilhelm von Braunschweig-Öls, No. 12, Stahr, betreute neben den Junkern auch die Soldatenkinder in zwei Regimentsschulen in Prenzlau. Diese waren in den Kasernen etabliert und zählten über 200 Schüler. In seinem Lehramt wurde Stahr von zwei Küstern unterstützt. Als General von Rohdich 1796 verstarb, bedachte er in seinem Testament auch die Garnisonschule von Potsdam mit einem namhaften Legat. Die Regimentsschulen finanzierten sich aus verschiedenen Gebühren und Abgaben. Letztlich waren aber die Schulfonds zu gering und die Schulverhältnisse nicht befriedigend, was der Feldprobst Kletschke in einem Promemoria über den Zustand der Garnison- und Regimentsschulen vom 10. 02. 1787 scharf kritisierte. Dies nahm Friedrich Wilhelm II. zum Anlass, das Militärschulwesen mit den AKO vom 09. 02. 1788 und 09. 02. 1797 zu reformieren.
Zur Versorgung invalider Soldaten
Die Versorgung invalider Soldaten erfolgte durch die Versetzung in eine Garnisoneinheit oder ein Landregiment, Gewährung des sogenannten „Gnadenthalers", Unterbringung in subalternen Stellungen bei Zivilbehörden (beim Generalldirektorium, bei den Kammern, bei den Regierungen, bei der Postverwaltung, bei der Generaltobaksadministra tion, bei der Regie oder als Schulmeister), sowie Ansetzung als „Bildner und Kolonist". Ferner gab es die Möglichkeit einer Platzierung im Invalidenhaus. Einen gesetzlich fundierten Rechtsanspruch auf eine Versorgung im Falle der Invalidität kannte man nicht, diese war eine reine Gnadensache, wobei vor allem die Kriterien Verdienste und Bedürftigkeit zum Tragen kamen. Die Versorgung erfolgte aber auch unter dem Gesichtspunkt, ob der Bedürftige eine Familie zu ernähren hatte. Auf Regimentsebene führte man genaue Invalidenlisten, welche auch Auskunft gaben über den Familien stand der Invaliden und die Anzahl etwaiger Kinder, geschieden nach Söhnen und Töchtern. Am 2. 5. 1747 wurde der Grundstein zum Bau eines Invalidenhauses in Berlin gelegt, am 15. 11. 1748 erfolgte die Übergabe. Dieses Gebäude, bereits von Friedrich I. geplant, diente der Unterbringung von ca. 600 Invaliden. Am 16. 11. 1748 berichtete Oberst von Retzow, dass die augenblickliche Anzahl der In validen einschließlich der Unteroffiziere 522 Mann betrug. Unter diesen Invaliden befanden sich 216 Beweibte (der Etat sah allerdings nur 126 Beweibte vor). Bekannt ist auch, dass mitunter Soldatenwitwen vom König ein kleines Grundstück zum Hausbau nebst den erforderlichen Baumaterialien zum Geschenk erhielten. Abschließend sei mitgeteilt, dass Soldatensöhne unentgeltlich in die „Gewercke" aufgenommen werden sollten und die Korrespondenz der Soldatenfrauen mit ihren im Feld stehenden Männern von Portogebühren freigestellt war.
Bewertung der militärischen Sozialpolitik von Zeitgenossen und späteren Betrachtern
Hinrichs hebt die „militärische Sozialpolitik" Friedrich Wilhelm I. hervor und betont, dass dieser vom Tage seines Regierungsantrittes an „das städtische Proletariat"7 sittlich und ökonomisch zu heben bestrebt war. Dies stellt Krüger in Abrede. Tatsächlich sind viele überlieferte Berichte der Zeit kritisch und schildern die Lebenssituation der „beweibten" Soldaten, Soldatenwitwen und -waisen oft in den schwärzesten Farben. Zu den Kritikern gehören Zivilisten (Klöden) und Militärs (Berenhorst, Lossow); es gibt aber auch positive zeitgenössische Äußerungen8. So entsteht vor dem heutigen Betrachter ein zwiespältiges Bild. Nach 1740 verschlechterten sich die Lebensverhältnisse der Soldaten und ihrer Angehörigen, bedingt durch inflationäre wirtschaftliche Prozesse. Die geringe Löhnung, unter dem Soldatenkönig noch hinreichend, wurde eingefroren, aber die Preise stiegen. Durch die steten Heeresvermehrungen wuchs auch die Zahl der Soldatenfrauen und -kinder. Nach 1763 wurde der ausländische Ersatz stärker betont, die ausländischen Rekruten brachten zum Teil Frauen und Kinder in ihre neue Heimat mit, was vom König aus bevölkerungspolitischen Gründen begrüßt wurde. Ferner wurden vermehrt Trauscheine vergeben: man wollte damit das zum Teil unruhige und unsichere Ausländerkontigent stabilisieren und Desertionen vorbeugen. Viele Kompaniechefs ließen dabei die wirtschaftliche Situation der Heiratskandidaten außer Acht, was eigentlich zu ihren Pflichten gehörte. Die Schlesischen Kriege hatten die Zahl der Invaliden unverhältnismäßig anwachsen lassen, darunter viele verheiratete, nun dienstuntaugliche Soldaten. Die immer größer werdende Zahl von Hilfsbedürftigen wurde allmählich zu einer sozialen Frage und überforderte letztlich das Mittelvolumen des altpreußischen Staates, insbesondere deshalb, weil nach dem siebenjährigen Existenzkampf die heimische Wirtschaft erschöpft war und deren Retablissement nun im Mittelpunkt der Regierungstätigkeit des alten Königs stand. Wenn sich deshalb das damalige Preußen den bedrückenden Lebensumständen des „Militärproletariats" nur unzureichend gewachsen zeig te, ist dennoch das Bemühen der Hohenzollern, der verantwortlichen Militärs, Behörden und Institutionen um die grosse Gruppe der Soldatenfrauen und -kinder, wie der vorgenannte Maßnahmenkatalog belegt, nicht zu leugnen und das vernichtende Urteil Berenhorsts8 zurückzuweisen; zu den praktischen Ergebnissen bismarckscher Sozialpolitik im ausgehenden 19. Jahrhundert sollte es allerdings noch ein weiter Weg sein.
Fußnoten:
- 1. Vgl. hierzu schon: Zur Problematik einer Sozialgeschichte des deutschen Militärs im 17. und 18. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Historische Forschung, Bd. 6, Heft 4 (1979), S. 425 ff. Dieser beklagte zu jedem Zeitpunkt ein Defizit an entsprechenden sozialgeschichtlichen Untersuchungen bzw. Arbeiten zur Militärgeschichte. Dies hat sich seitdem deutlich verbessert, nicht nur zur preußischen Armee, sondern auch zu anderen (deutschen) Streitkräften.
- 2. Vgl. hierzu schon: Zur Problematik einer Sozialgeschichte des deutschen Militärs im 17. und 18. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Historische Forschung, Bd. 6, Heft 4 (1979), S. 425 ff. Dieser beklagte zu jenem Zeitpunkt ein Defizit an sozialgeschichtlichen Beiträgen in der militärwissenschaftlichen Landschaft. Dies hat sich seit jener Zeit deutlich verbessert, auch - aber nicht nur - zum preußischen Militär.
- 3. Dieser Beitrag erschien - mit einer leicht veränderten Einleitung - bereits in der Ausgabe November/ Dezember 1986 (Nr. 238) der Zeitschrift der Gesellschaft für Heereskunde, dem wissenschaftlichen Organ für die Kulturgeschichte der Streitkräfte, ihre Bekleidung, Bewaffnung und Ausrüstung, für heeresmuseale Nachrichten und Sammler-Mitteilungen. Der Aufsatz wird im Übrigen unverändert wiedergegeben, eine Überarbeitung desselben unter Berücksichtigung neuerer sozialgeschichtlicher Arbeiten bleibt vorbehalten.
- 4. Jany, Curt, Geschichte der Preußischen Armee vom 15. Jhdt. bis 1914, Berlin 1928, Bde. 1-III., Nachdruck Osnabrück 1967, Bd. 1., S. 660. Die Heeresstärken berücksichtigen den Unterstab, nicht aber die Überkompletten.
- 5. Büsching, Anton Friedrich, Zuverläßige Beyträge zu der Regierungs-Geschichte Königs Friedrich II. von Preußen ..., Hamburg 1790, S. 420-421. Gemeint ist die gesamte Garnison einschließlich der Beurlaubten, ohne diese gehörten zur Berliner Militärbevölkerung immer noch 5 547 Frauen und 6668 Kinder, ebendort, S. 418-419.
- 6. Freiwächter (Stadtbeurlaubter) im Gegensatz zum Landbeurlaubten ist der außerhalb der Exerzierzeit innerhalb der Garnison ohne Bezüge vom (Wach-) Dienst beurlaubte Soldat (zumeist Ausländer und Professionist); er betreibt eine private gewerbliche Tätigkeit.
- 7. ,,Der Gouverneur und Commandant soll alle Monath die Taxe von Brod, Bier und Fleisch machen lassen; Wobey 2. Staabs-Officiers von der Guarnison, der Commissarius loci und 2. Bürgermeisters gegenwärtig seyn müssen. ,,Reglement vor die König!. Preußische Infanterie ... ", Berlin, 1743 (Nachdruck Osnabrück 1976), S. 603/604.
- 8. Hinrichs, Lagerhaus, a. a. 0. S. 37, gemeint ist die Militärbevölkerung.
- 9. Bräker (Lebensgeschichte und Natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Hrgb. H. H. Füßli, Zü rich 1789, Nachdruck Stuttgart 1965, S. 108), v. Dohm (vergl. Schnackenburg a. a. 0., S. 112) und v. Hoyer (ebendort, S. 141). Krüger (a. a. 0., S. 282) gibt verschiedene Beispiele für wohlhabende Mannschaften.
- 10. Berenhorst, a. a. 0., S. 296 (,, ... der König aber giebt weder auf die Weiber noch auf die Kinder das Geringste.").